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unmöglich ruhig zu sitzen, um zu lesen und angekleidet warf ich mich auf die Pritsche und deckte mich mit den Teppichen zu, um mich zu erwärmen.

Auf meine Klagen mittags, versprach mein neuer Hauswirt, mich andern Tags auszuquartieren. Es werde unten etwas frei und so geschah es auch. Ich bekam ein nach Süden gelegenes Quartier mit großem Fenster und der Aussicht auf Gärten und Weinberge, auf die Ellhofener Landstraße.

Nachmittags erhielt ich noch eine besondere Ueberraschung. Die Frau meines neuen Wirtes brachte mir meinen jüngsten Sprößling, der, wenn er auch sehr bleich, doch soweit munter aussah und eine nicht geringe Freude beim Wiedersehen seines Vaters äußerte.

Die Weinsberger Leute waren von anderer Qualität wie dieser Kegelmaier in meiner Vaterstadt. Abends wurde mir die Mitteilung, daß der Herr Oberamtsrichter, Landgerichtsrat H., mich am anderen Morgen besuchen werde, er habe schon seit Jahren das Gefängnis nicht mehr betreten, wurde mir gesagt.

Und er kam wirklich, auf einen Stock gestützt, ohne welchen er überhaupt nicht gehen konnte und unterhielt sich längere Zeit mit mir, fragte mich auch, ob ich besondere Wünsche hätte. Er wollte lediglich den Sozialdemokraten kennen lernen.

Von der Stunde an kampierte ich überhaupt nicht mehr hinter verschlossenen Türen. Dieselben wurden vielmehr weit geöffnet und ich konnte auch auf dem langen geräumigen Gang spazieren gehen, was immerhin eine wesentliche Wohltat für mich war. Der nächste Sonntag war noch ein schwerer Tag für mich. Ich sah die Leute spazieren gehen von

Empfohlene Zitierweise:
Gustav Kittler: Aus dem dritten württemb. Reichstags-Wahlkreis. Im Selbstverlag des Verfassers, Heilbronn 1910, Seite 80. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Gustav_Kittler_Erinnerungen_1910.pdf/80&oldid=- (Version vom 1.8.2018)