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Stellung des Bundesrates (vgl. oben S. 200, c) folgt, dass wie in allen Reichsregierungsangelegenheiten so auch hinsichtlich des Verordnungsrechtes – vorausgesetzt natürlich immer, dass ein solches überhaupt begründet ist – die Vermutung der Zuständigkeit für ihn spricht. Der Kaiser, der Reichskanzler und andere Reichsbehörden sind dagegen, soweit es sich nicht lediglich um Ausübung der Dienstgewalt handelt (vgl. unten 297), nur auf Grund ausdrücklicher gesetzlicher Kompetenzerklärung befugt, Verordnungen zu erlassen,[1] wie solche in zahlreichen Reichsgesetzen, für den Kaiser schon in der R.-Verf. selbst (Art. 50, 53, 63 Abs. 5) gegeben ist. Auch die Einzelstaaten oder bestimmte einzelstaatliche Behörden können auf Grund reichsgesetzlicher Delegation als Träger des Reichsverordnungsrechtes fungieren; die von ihnen auf Grund solcher Delegation erlassenen Verordnungen haben reichsrechtliche Kraft, d. h. sie brechen das Landesrecht (vgl. oben S. 286). In Elsass-Lothringen wird das dem Verordnungsrechte in den Einzelstaaten entsprechende sog. Landesverordnungsrecht, sofern gesetzlich nicht anderes bestimmt ist, von dem Kaiser ausgeübt, da dieser der Träger der Staatsgewalt in den Reichslanden ist. (Verf.Ges. 31. Mai 1911 Art. II § 1).

V. Rechtsverordnungen bedürfen, da sie verbindliche Kraft für die Untertanen erhalten sollen, einer Verkündigung in dem oben S. 289 angegebenen Sinne. Die Frage, wo diese stattzufinden hat, lässt sich nicht einheitlich beantworten, besonders auch nicht dahin, dass sie, da die Rechtsverordnungen materiell Gesetze sind, wie die der formellen Gesetze, also in der Gesetzsammlung zu geschehen habe. Dieses ist in mehreren Staaten für bestimmte Gruppen von Verordnungen allerdings gesetzlich vorgeschrieben in Preussen z. B. für die königlichen Verordnungen, in Sachsen, Baden für die landesherrlichen und die ministeriellen; allein gerade daraus, dass die einzelstaatlichen Gesetzgeber diesen Publikationsmodus für bestimmte Arten von Verordnungen vorschreiben, folgt, dass sie ihn nicht als den aus der Natur der Sache folgenden ansehen, und man wird annehmen müssen, dass, wo er oder ein anderer Publikationsmodus nicht gesetzlich vorgeschrieben ist, der zum Erlasse der Verordnung Berufene selbst den Publikationsmodus bestimmen könne. Dieser Grundsatz gilt naturgemäss auch für das Reich. Hier aber ist überhaupt nicht, auch nicht für eine einzelne Gruppe von Verordnungen, ein bestimmter Publikationsmodus gesetzlich vorgeschrieben, und daher hat der Verordnende hier, sofern nicht das delegierende Gesetz den Publikationsmodus ordnet, in der Wahl dieses stets freie Hand. In der Praxis werden denn auch nur die kaiserlichen Verordnungen (gemäss Präsidial-Vdg. 26. Juli 1867) regelmässig im Reichsgesetzblatt publiziert, während der Bundesrat seine Verordnungen seit 1873 gewöhnlich im „Zentralblatt für das Deutsche Reich“ veröffentlicht.[2]

Eine Verwaltungsverordnung braucht dagegen nicht formell an die Allgemeinheit verkündigt zu werden; sie wird für die Behörden und Beamten, die sie angeht, verbindlich, sobald


  1. Ob der Kaiser das ihm übertragene Verordnungsrecht dem Reichskanzler und dieser das ihm gesetzlich zugewiesene einer ihm unterstellten Reichsbehörde delegieren kann, ist bestritten. Das oben S. 295, IV. Bemerkte gilt auch hier. Das dem Bundesrate zustehende Verordnungsrecht kann dagegen zweifellos nicht von diesem dem Reichskanzler oder einer anderen Reichsbehörde delegiert werden.
  2. Diese Publikation halt für ausreichend auch das Reichsgericht (Entsch. i. Ziv. S. Bd. 40 S. 68ff.; 48 S. 84 ff.); anders dagegen Laband (St. R. II S. 99 ff.) und eine Reihe von Schriftstellern, die unter der Behauptung, das Wort „Reichsgesetze“ sei in Art. 2 Satz 2 R.V. im materiellen Sinne gebraucht, meinen, auch Rechtsverordnungen des Reiches erhalten verbindliche Kraft nur durch Verkündigung im R.G.Bl. Die Ansicht des Reichsgesetzgebers ist dieses aber jedenfalls nicht, da von ihr aus die in verschiedenen Reichsgesetzen sich findende ausdrückliche Anordnung, eine bestimmte Ausführungsverordnung solle im R.G.Bl. publiziert werden, überflüssig und unverständlich wäre. Über den Stand der Frage G. Meyer, St. R. S. 5749. Ist übrigens die hier vertretene Auffassung richtig, so können auch kaiserliche Verordnungen anderswo als im R.G.Bl. rechtswirksam publiziert werden; die oben gen. Präs.-Vdg. steht dem nicht entgegen, da das Präsidium seine eigenen Vdgn. jederzeit abändern kann.
Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 1. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 305. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_1.pdf/325&oldid=- (Version vom 1.8.2018)