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Diverse: Handbuch der Politik – Band 3

zu überweisen (§ 21). Diese Bestimmungen wurden durch das Gesetz vom 23. Mai 1881 dahin ergänzt, dass die Verhandlungen des Landesausschusses öffentlich sind und die Geschäftssprache desselben die deutsche ist.

Nachdem acht Jahre seit der Vereinigung der von Frankreich abgetretenen Gebiete mit dem deutschen Reich vergangen waren, hatte Elsass-Lothringen bereits eine Verfassung, welche tatsächlich der eines Bundesstaates ähnlich war. Das Reichsland hatte von Anfang an seine eigene, selbständige, von der Finanzwirtschaft des Reichs getrennte Finanzwirtschaft. Es hatte seine eigene Verwaltungsorganisation unter Ausschluss der Reichsorgane, seinen Statthalter, sein Ministerium, seine Landesbehörden und Landesbeamten. Es hatte eine Volksvertretung, welche mit allen Rechten ausgestattet war, welche die Landtage der Bundesstaaten haben. Es hatte seine besondere Landesgesetzgebung, für welche ein eigenes Gesetzblatt bestand. Es gab sogar eine Landesangehörigkeit, welche der Staatsangehörigkeit in den Bundesstaaten entsprach. Seine besonderen Interessen konnten im Bundesrat durch Kommissare des Statthalters zur Geltung gebracht werden. Elsass-Lothringen blieb Reichsland; die Souveränität über dasselbe stand dem Reiche zu; es gab keine von der Reichsgewalt verschiedene Staatsgewalt; Elsass-Lothringen war ein Teil des Reichsgebiets, aber kein Mitglied des Bundes und hatte daher keine Mitgliedschaftsrechte; aber die Konsequenzen des Reichslandsbegriffs waren in allen Richtungen abgeschwächt und umgebogen und die tatsächlich bestehende Einrichtung des Reichslandes war der eines Bundesstaates völlig gleichartig. Die Eigenschaft als Reichsland trat nur noch in folgenden Rechtssätzen in die Erscheinung:

1. Da es keine von der Reichsgewalt verschiedene Landesstaatsgewalt im Reichsland gibt, so gibt es auch keinen Landesherrn im staatsrechtlichen Sinne. „Der Kaiser übt die Staatsgewalt aus“ als Organ des Reichs und im Namen des Reichs. Obgleich ihm tatsächlich im Reichsland dieselben Rechte zustehen wie den Landesherren der Bundesstaaten, so ist seine staatsrechtliche Stellung doch eine andere. Er übt nicht wie ein Monarch sein Recht aus, sondern das Recht der Gesamtheit der deutschen Bundesstaaten. Er ist bei der Gesetzgebung nicht nur an Zustimmung der elsass-lothringischen Volksvertretung, sondern auch an die Mitwirkung des Bundesrates, unter Umständen auch an die Zustimmung oder Kontrolle des Reichstags gebunden. Dass der Kaiser als das Oberhaupt des Reiches die Staatsgewalt in Elsass-Lothringen ausübt, ist das charakteristische Merkmal des Reichslands.

2. Der Bundesrat hat das Zustimmungsrecht zu allen Landesgesetzen mit Einschluss des Landeshaushaltsetats. Zwar steht nicht dem Bundesrat, sondern dem Kaiser die Sanktion der Reichsgesetze zu; aber ohne die Zustimmung des Bundesrates kann der Kaiser kein Landesgesetz erlassen. Dadurch kommt die der Gesamtheit der deutschen Staaten zustehende souveräne Staatsgewalt zum Ausdruck und der Bundesrat übt über Elsass-Lothringen ein Recht aus, welches ihm hinsichtlich keines Bundesstaates zusteht.

3. Der Reichstag hat ein subsidiäres Zustimmungsrecht zu Landesgesetzen, da der Weg der Reichsgesetzgebung auch hinsichtlich der Landesgesetze zulässig ist. Freilich ist hiervon niemals Gebrauch gemacht worden.

4. Da das Reichsland kein Mitglied des Bundes ist, so hat es auch keine Mitgliedschaftsrechte, insbesondere keine Stimmen im Bundesrate.

Auf diese 4 Punkte beschränkte sich der Gegensatz zwischen dem Reichslande und den Bundesstaaten und auf die Beseitigung derselben war seit einer Reihe von Jahren eine lebhafte Agitation gerichtet.

Man kann nicht sagen, dass die Entwicklung der Reichslandsverfassung langsam sich vollzogen habe und namentlich seit 1879 eine Stagnation eingetreten sei; man könnte vielleicht mit gleichem Recht behaupten, dass die Entwicklung bis zum Gesetz vom 4. Juli 1879 überhastet war und dass seit diesem Gesetz Elsass-Lothringen eine Verfassung erhalten hatte, welche einen Ruhepunkt bilden musste, abgesehen von den verfehlten Vorschriften über die Bildung des Landesausschusses.

Was nun die angegebenen vier Punkte anlangt, in denen das Reichsland von den Bundesstaaten noch unterschieden war, so sollte durch eine neue Verfassungsreform, welche nach Überwindung

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 3. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 207. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_3.pdf/223&oldid=- (Version vom 14.9.2022)