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Diverse: Handbuch der Politik – Band 3

Durch diese einseitige Strenge kam in die soziale Bewegung Japans, in deren Leitung idealistisch gesinnte junge Gelehrte bereits ihre Lebensaufgabe erblickt hatten, ein revolutionärer Zug und eine ehrliche Entrüstung über Tyrannei, die infolge der Neigung rabiater Individuen zu Aufsehn erregenden Gewalttaten bei dem sonst so gefügigen japanischen Volke um so bedenklicher war.

Wie gewaltig sich die wirtschaftlichen Verhältnisse Japans unter den durch den Krieg herbeigeführten neuen Verhältnissen veränderten, wird schon an dem unvergleichlichen Wachstum seines Aussenhandels deutlich. Hatte er in dem Jahre vor dem Kriege (also 1893) mit rund 178 Millionen Yen oder 4,30 Yen auf den Kopf der Bevölkerung eine damals viel erörterte Rekordziffer erreicht, so stieg er von jetzt an in gesteigerter Proportion und erreichte 1903, also in dem Jahre vor dem Ausbruch des Krieges mit Russland 606⅔ Millionen Yen oder rund 13 Yen auf den Kopf der Bevölkerung. Es war also eine Verdreifachung eingetreten, während in dem damals sich ebenfalls ungewöhnlichen hebenden Aussenhandel Deutschlands nur eine Steigerung um rund 66% stattgefunden hatte und alle anderen Länder Europas und Amerikas dagegen noch zurückgeblieben waren. Dagegen hielt sich die Auswanderung aus dem Inselreiche in verhältnismässig noch immer bescheidenen Grenzen. Am Ende des Jahrhunderts lebten nur 124 000 japanische Staatsangehörige im Auslande und davon genau die Hälfte (62 000) auf den Zuckerplantagen in Hawai als Kontraktarbeiter. Was Japan vorwärts trieb, war also nicht, wie es später irrtümlich oft behauptet wurde, die drängende Sorge um die Unterkunft seiner überschüssigen Bevölkerung, sondern das durch den Krieg mit China mächtig geförderte Bestreben der Regierung und öffentlichen Meinung, an politischer Bedeutung zu gewinnen und auch wirtschaftlich möglichst schnell die Gleichstellung mit den europäischen Mächten zu erringen, die durch die Vertragsrevision 1899 völkerrechtlich und handelspolitisch erreicht worden war. Eine stete Sorge der Regierung und der öffentlichen Meinung war dabei, dass seit dem Kriege die Handelsbilanz Japans Jahr für Jahr ungünstig war und in den neun Jahren von 1896 bis 1904 einen durchschnittlichen Ueberschuss der Einfuhr um jährlich 44 Millionen Yen aufgewiesen hatte. Erklärlich ist diese Erscheinung ja aus dem Bedürfnis, zur Ausgestaltung der neuen Industrie Maschinen, Apparate und Muster in ungewöhnlichen Mengen ins Land zu ziehen; aber dahinter erhob sich die bange Sorge, ob es möglich sein würde, die 1897 eingeführte Goldwährung aufrecht zu erhalten, wenn das so fortginge. Es war ein Glück für Japan, dass gerade damals die riesige Vermehrung der Goldproduktion in Alaska, Australien, und ganz besonders Südafrika den früheren Goldhunger der aufstrebenden Kulturstaaten vermindert hatte. So konnte man hoffen, die ungünstige Handelsbilanz nachhaltig zu verbessern, wenn man erst auf neutralen Märkten der übermächtigen europäischen Konkurrenz näher gekommen wäre und zugleich für die modernen Bedürfnisse des Lebens im Lande selbst die Massenverbrauchsartikel selber herstellte. Infolgedessen nahm der volkswirtschaftliche Aufschwung in Japan eine Richtung, die der europäischen Industrie und der Handelstätigkeit der in den früheren Vertragshäfen bestehenden Firmen feindlich schien und dem Verdacht chikanöser Behandlung durch die Behörden Nahrung bot. Eine durch die Verträge nicht gerechtfertigte Besteuerung der in den sogenannten Konzessionen erbauten Häuser und Warenspeicher der Fremden erhitzte während der langen Verhandlungen darüber die Gemüter auf beiden Seiten, bis endlich das Haager Schiedsgericht 1909 die Entscheidung gegen den Anspruch der japanischen Regierung fällte. Das Gerede von der gelben Gefahr erhielt dadurch einen um so günstigeren Nährboden.

Seit 1896 drohte aber die Gefahr, dass die von den Chinesen den Japanern überlassene Vormachtstellung in Korea an Russland fallen würde. Durch die Ermordung der Königin unter Assistenz der japanischen Gesandtschaft und durch Gefangenhaltung des Königs hatten die Japaner den alten Hass, den die Koreaner gegen sie hegten, aufs äusserste gesteigert, so dass die russische Politik, die das Amurgebiet südwärts zu einem grossen Kolonialreich ausdehnen wollte, in China und Korea in der Japanfeindlichkeit der leitenden Kreise die beste Unterstützung fand. Die bevorstehende Vollendung der transsibirischen Eisenbahn und ihre Abzweigung durch die Mandschurei erhöhte die Aussichten der russischen Kolonialschwärmer, die in dem Admiral Alexejew ihr Oberhaupt und am Hofe in St. Petersburg mächtige Gönner fanden. Die starke Befestigung des von China gepachteten Port Arthur, die Besetzung der ganzen Mandschurei durch russische Truppen während der Boxerwirren und die unausgesetzte Vermehrung des ostasiatischen Geschwaders liessen an der

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Diverse: Handbuch der Politik – Band 3. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 377. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_3.pdf/393&oldid=- (Version vom 24.12.2021)