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Seite:Heft29VereinGeschichteDresden1921.djvu/32

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Orchesterinstrumente den ersten Schritt zum Verfall der wahren katholischen Kirchenmusik erblicken lassen mußte. Eine Auffassung, der man eine gewisse Berechtigung nicht versagen wird und die von weiten Kreisen in der Kirche geteilt, später (1867) in der cäcilianischen Bewegung auflebte und reformatorisch auch auf die Dresdner Verhältnisse einwirkte. Indessen Wagner verschloß sich doch darum keineswegs der Erkenntnis, daß auch noch nach der Einführung der Orchesterinstrumente von den größten Tonsetzern ihrer Zeiten Kirchenstücke verfaßt worden seien, die an und für sich von ungemeinem künstlerischen Wert sind und möglicherweise wäre sein Urteil noch milder ausgefallen, ihrer Verwendung im Gottesdienst gegenüber, wenn nicht sein organisatorischer Scharfblick die damals eingerissenen Mißstände in zu bedrückender Schwere empfunden und diese ihn begreiflicherweise in radikalem Sinne beeinflußt hätten. Es handelte sich hier vor allem darum, daß nach dem infolge der im Jahre 1832 erfolgten Auflösung der italienischen Oper allmählich sich vollziehenden Ausscheiden und Absterben der Kastraten die auf deren Virtuosität berechneten Gesangstücke von den Chorknaben vorgetragen werden mußten, was natürlich nur ganz stümperhaft geschehen konnte und Wagner „das Widernatürliche, oft Empörende der Beibehaltung dieser Kirchenmusik emfinden ließ.“ Der milde, weiche und nachgiebige Reißiger aber war nicht der Mann von dem Schlage, sich kraftvoll dafür einzusetzen, was Wagner als erste Notwendigkeit erkannt hatte, d. h. für die Ersetzung der Kastraten durch Sängerinnen[1]. Bemerkenswerterweise sollte sie von ihrem letzten Vertreter, dem damaligen Kapellknaben-Instruktor Angelo Cicarelli, der seinen Namen in Dresden durch eine Stiftung für arme, unbescholtene weibliche Personen verewigte, die sich verheiraten wollen, beim damaligen Bischof (Dittrich) unterstützt worden sein. Alles, was geschah – außer der Einführung des Graduales an Stelle der Kirchen-Symphonie (Epistelsonate) – war die Vermehrung der Kapellknaben. Reißiger vermied bei seinen Messen die Unzuträglichkeiten durch geeignete Umarbeitungen, aber in den Werken Hasses, Naumanns u. a. litt natürlich die Ausführung der Soli, die für große Gesangkünstler geschrieben waren, bedenklich, und als dann der frühere Opernsänger (Bassist) Carl Risse Kapellknaben-Instruktor wurde, gestaltete sich, abgesehen davon, daß die Auswahl und die Ausbildung der Knaben zu wünschen übrig ließ, die Sache immer bedenklicher, weil alle möglichen bei diesen sich ereignenden Zufälle Pläne der Kapellmeister einfach unmöglich machen konnten[2].


  1. Vgl. hierzu in dem Voranstehenden Wagner, Ges. Schriften, Wolfgang Golther, II. 254. Entwurf zur Regeneration eines deutschen Nationaltheaters und IX. Band. 79. 84.
  2. C. Niese. Die Kirchenmusik in der katholischen Hofkirche zu Dresden. Wien. 1865.