Die Bluse
Ich hätte nein sagen sollen oder daß ich etwas vorhätte, als mich meine Tante Dorchen Faßbender am Eingang des amerikanischen Riesen-Warenhauses mit Beschlag belegte und mich bat, sie zu begleiten: sie müßte sich nur eben eine Bluse kaufen, erklärte sie obenhin.
Eine Bluse kaufen, das war ja schließlich eine einfache und schnell erledigte Sache, dachte ich mir und ging mit. Außerdem hatte die Tante mir schon häufiger Rechnungen meines Schneiders bezahlt, das war entsprechend zu beachten.
Der Scharfsinn eines Indianers gehört dazu, um sich in einem modernen Warenhaus zurechtzufinden und noch zu Lebzeiten den begehrten Gegenstand zu kaufen. Die Tante sagte, sie wisse Bescheid, und drängte sich durch die Menge, die sich in den Gängen zwischen den Verkaufsständen hin- und herschob. Sie trat energisch auf sie hindernde Füße und stieß Langsame mit der Krücke ihres Zanellaschirmes verstohlen in den Rücken.
„Da drüben bekommen wir das Gewünschte,“ sagte sie mit Bestimmtheit. Ich vertraute der Tante. Wir schoben nach drüben.
Wir blieben einen Augenblick am Verkaufsstand für Emaillegeschirr stehen. „Was darf’s sein?“ fragte verbindlich ein rotbackiges Fräulein.
„O, wo finde ich Blusen?“ erkundigte sich die Tante, die scheinbar doch nicht so ganz und gar Bescheid wußte.
„Bitte, erste Etage, Aufzug,“ war die Antwort. Die Tante zog vor, die Treppe zu benutzen, aus Vorsicht.
Hermann Harry Schmitz: Buch der Katastrophen. Kurt Wolff Verlag, Leipzig 1916, Seite 45. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_Harry_Schmitz-Buch_der_Katastrophen-1916.djvu/043&oldid=- (Version vom 1.8.2018)