hieß ein Denkmal errichten: das war der uralten Männer Zweck und Sinn.
Aber die Erkenntnis über Zweck und Sinn ihres Sitzens hatte der Strom der Zeiten verwischt.
„Warum sitzen wir uralten Männer hier? Ich weiß nimmermehr, warum ich hier sitze und meinen Bart durch den Tisch wachsen lasse. Ich weiß es nicht!“ So hub einer der uralten Männer, nachdem während der letzten hundert Jahre alle brütend geschwiegen hatten, zu klagen an, und eine Träne rann ihm aus dem linken Augenwinkel auf den Gehrockaufschlag.
„Ja, warum sitzen wir hier unentwegt, unentwegt, wir uralten Männer?“ jammerte ein anderer.
„Wir beraten, wir beschließen, wir entscheiden,“ klang es dumpf und schwer vom Kopfende des Tisches.
„Wir beraten, wir beschließen, wir entscheiden,“ echote das Gemurmel der Versammelten.
Dann tiefes Schweigen wiederum wohl an die hundert Jahre.
„Worüber wollen wir beraten, beschließen, entscheiden?“ konnte sich der vorlaute uralte Mann von vorhin nicht enthalten zu fragen. „Worüüüüber?“ Der Arme wand sich in den schrecklichen Qualen einer geängstigten Seele.
Keine Antwort. Und weitere hundert Jahre fraß Kronos.
„Noch immer gab mir keiner Antwort auf meine Frage: worüber wir beraten, beschließen, entscheiden wollen!“ ließ sich wieder die Stimme des grübelnden, uralten Mannes vernehmen.
Hermann Harry Schmitz: Buch der Katastrophen. Kurt Wolff Verlag, Leipzig 1916, Seite 132. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_Harry_Schmitz-Buch_der_Katastrophen-1916.djvu/130&oldid=- (Version vom 1.8.2018)