Starrkrampf, der die Köpfe in den Nacken drückte, so daß der Scheitel des Hinterkopfes mit dem Rückgrat einen rechten Winkel bildete. Es hieß, Sanitätsrat Bullemann habe ein Mittel, den Starrkrampf zu lösen. Seine Therapie war folgende: Er pinselte den Hals der Betroffenen mit Jod ein und spritzte mit der Pravazschen Spritze Schmieröl zwischen die Halswirbel. Der Krampf löste sich, und jeder bezahlte gern seine dreißig Mark. Weniger Anklang fand die besonders konstruierte Art von Scheuklappen, die Tierarzt Nüster empfahl.
Aber neben dem Starrkrampf stellte sich noch eine weitere, viel schlimmere Folge ein. Eines Abends blieb das i in den Worten „Zigarette“ und „Seife“ aus. Das war nun wieder eine ganz neue Sensation, und ganz Stumpfsinnshausen beschäftigte sich mit der Erscheinung, die sie erschreckte und nicht losließ. Nach einer Woche versagten sogar die Vokale in der Feuerschrift gänzlich: Sf, Kgnk, Zgrrn, Zgrtt, Fhrrdr, Krrph, Apllthtr – so schrieb der glühende Finger an den nächtlichen Himmel. Und wie unter einem hypnotischen Zwang, einem kosmischen Muß begannen die Stumpfsinnshausener diese fremden, seltsamen Worte zu buchstabieren. Auf einer Gesellschaft bei Leberthrans fing es dann an: jenes entzückende Scherzspiel, in der Weise der defekten Feuerschrift zu reden. Es brachte anfangs auch eine höchst willkommene und angenehme Abwechselung in die Unterhaltung, aber allmählich wurde aus dem Spiele Ernst, bitterer Ernst. Ein Irres kam über die Leute. In etwa einem Monat sprach man nur noch diese Sprache ohne Vokale, die niemand verstand.
Hermann Harry Schmitz: Buch der Katastrophen. Kurt Wolff Verlag, Leipzig 1916, Seite 198. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_Harry_Schmitz-Buch_der_Katastrophen-1916.djvu/196&oldid=- (Version vom 1.8.2018)