Die Rangierlokomotive und der Prellbock
„Sie sind mit im höchsten Grade unsympathisch, um mich nicht schärfer auszudrücken,“ sagte die Rangierlokomotive zum Prellbock.
Es war eine Rangierlokomotive ältester Konstruktion, die nur noch dazu verwandt wurde, auf dem Hauptgüterbahnhof Waggons, die entladen werden sollten, in ein sogenanntes „totes Gleise“ zu ziehen, an dessen Ende der Prellbock stand.
„Unsympathisch sind Sie mir,“ knirschte sie und rannte absichtlich hart gegen den Prellbock.
„Lassen Sie mich doch, bitte, nicht immer unter Ihrer Unzufriedenheit leiden; ich kann doch nichts dazu, daß man Sie hier auf den Rangierbahnhof gesteckt hat,“ meinte der Prellbock gutmütig, „ergeben Sie sich doch in Ihr Schicksal.“
„Ergeben – ergeben – so ein dummes Gewäsch! Man möchte explodieren, wenn man es mit ansehen muß, wie man heute unreifen, unerfahrenen Laffen von Maschinen, kaum der Werkstätte entwachsen, Züge anvertraut. – Einen roten Streifen um den Schornstein und all die anderen Firlefanzereien habe ich nicht – Gott sei Dank, es täte mir leid – ich bin eine solide Person. – Ich, ausgerechnet ich, bin dazu verdammt, blöde ungebildete Güterwagen auf und ab auf diesem idiotischen Gleise zu ziehen. – Veraltet sei ich! Ha – Ha – ha! Ich veraltet! – Und Sie,“ fiel sie plötzlich über den Prellbock her, „Sie haben nicht das geringste Verständnis für die Tragik in meinem Leben. – Ihre langweilige Physiognomie
Hermann Harry Schmitz: Buch der Katastrophen. Kurt Wolff Verlag, Leipzig 1916, Seite 209. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_Harry_Schmitz-Buch_der_Katastrophen-1916.djvu/207&oldid=- (Version vom 1.8.2018)