begann, je mehr ich seinem wirklich nicht schlechten Mosel zusprach, mir mein ungeregeltes, verwerfliches, drohnenhaftes Junggesellendasein im Gegensatz zu seiner nützlichen, staatserhaltenden Häuslichkeit vorzuhalten. Einteilen müsse man sich sein Leben, dozierte er, alles zur Zeit und vor allem alles mit Maß. Um die Liebe sei es etwas Heiliges, erklärte er gemessen. Gerade sittlicher Ernst fehle heutzutage den jungen Leuten. Frau Seheim hängte sich polypenhaft an ihren Gemahl und drückte ihm ihre Lippen ins Gesicht. – Ich steckte mir beschämt eine neue Importe an und hauchte tief aufseufzend: „Ja, ja!“ – Als er dann auf die materiellen Vorzüge einer Ehe hinwies, in höchster Entrüstung von dem In-den-Tag-Leben der meisten Junggesellen, dem sinnlosen Geldverprassen und der notwendigen Folge eines solchen verwerflichen Lebens, dem unsinnigen Schuldenmachen sprach, wurde es mir nun doch ungemütlich; ich verabschiedete mich, zumal Theobald keine Anstalten machte, eine neue Flasche anzubrechen, mit einer gewissen Kühle und mied von diesem Tage ab die Seheimsche Häuslichkeit. –
Ich hatte während der letzten Tage schauderhaft gesumpft, zwei Tage und zwei Nächte meine engsten Lackstiefel nicht von den Füßen gehabt. Die vergangene Nacht hatte sich bis heute mittag ausgedehnt. Nun saß ich als absolute Leiche auf meiner Bude und pflückte mir ächzend und stöhnend meine Gewandung vom Leibe.
Schlafen, schlafen, schlafen, war mein einziger Wunsch. Es war Dienstag. Ich hatte meiner Wirtin strengste Order gegeben, mich vor Freitag nachmittag nicht zu wecken.
Hermann Harry Schmitz: Der Säugling und andere Tragikomödien. Leipzig: Ernst Rowohlt Verlag, 1911, Seite 20. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_Harry_Schmitz_Der_Saeugling.djvu/020&oldid=- (Version vom 18.8.2016)