Das war immer eine ungemein peinliche Geschichte, wenn Tante Gottmeih Schlüngel aus Dülken zu ihren Verwandten in die Stadt auf Besuch kam.
Es war wirklich im höchsten Grade unangenehm, sich mit dieser keineswegs schicken oder in irgendeiner Weise interessant oder dekorativ wirkenden Person mit auffallenden Gebärden und spontanen Verwunderungsepilepsien öffentlich sehen zu lassen und seine Verwandtschaft mit ihr vor aller Welt zu dokumentieren.
Gerade jetzt, als der Vater, der Kanzleirat auf irgendeinem Bureau war, den Kronenorden vierter Klasse bekommen hatte, als Adalbert, der Älteste, Referendar geworden war, als man also anfing, etwas zu bedeuten und sich fast zur Gesellschaft rechnen konnte, kam diese höchst kompromittierende Tante recht ungelegen.
Außerdem war es aus mit der ganzen Bequemlichkeit. Die Tante war enorm anspruchsvoll und erwartete und verlangte, daß sich alles um ihre Person drehe.
Aber was war zu tun? Die Tante war sehr begütert, schon bei Jahren, und der Vater der nächste Erbe.
Hermann Harry Schmitz: Der Säugling und andere Tragikomödien. Leipzig: Ernst Rowohlt Verlag, 1911, Seite 51. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_Harry_Schmitz_Der_Saeugling.djvu/051&oldid=- (Version vom 18.8.2016)