Dienstmädchen auf dem Speicher schlief, mußte sich mit dem Seitengewehr und einem Ankersteinbaukasten begnügen, damit sie auch etwas für die Fernwirkung hatte. Anna, das Dienstmädchen, bekam das Florett und den malaiischen Kris – den wollte sonst niemand, da man ihn nirgends anfassen konnte, ohne sich selbst weh zu tun – die Anna wußte das nicht. Der Vater behielt für sich das Beil, das Lasso, das Schwert und die zwei Revolver.
Mittags und abends nach dem Essen war Instruktionsstunde im Garten auf der Bleiche. Der Eifer des Vaters hatte auch die Familie angesteckt. Der Furor Teutonicus und der Voreltern Liebe zum Waffenhandwerk war erwacht. Selbst die sanfte Mutter und die gütige, taube Tante hatte es gepackt.
Die Haushaltung wurde sichtlich vernachlässigt. Die Mutter lief den ganzen Tag aufgeregt mit der Lanze durch das Haus und kam zu nichts. Die Anna ließ alles drunter und drüber gehen und übte sich von früh bis spät im Florettfechten. Oft sprang die Mutter vom Essen auf, nahm ihre Lanze aus der Ecke und wirbelte sie um den Kopf. Dabei ging einmal die Hängelampe in tausend Stücke; jetzt war aber alles egal. Oder der Vater stürzte plötzlich in den Garten, schleuderte das Lasso nach der ahnungslosen, die Wäsche ausbreitenden Waschfrau und brachte sie in geschicktem Wurfe zu Fall. Daß die Waschfrau dieses mißverstand und ihm ein nasses Laken um den Kopf schlug, tat seinem Eifer keinen Abbruch. Die Kinder waren nicht mehr zu bändigen. Kaputte Spiegel, Fensterscheiben, Vasen zeugten von ihren Waffenübungen. Selbst die Büste der Königin Luise im guten Zimmer lag eines Tages zerschmettert vor dem Nußbaumständer.
Hermann Harry Schmitz: Der Säugling und andere Tragikomödien. Ernst Rowohlt Verlag, Leipzig 1911, Seite 65. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_Harry_Schmitz_Der_Saeugling.djvu/065&oldid=- (Version vom 1.8.2018)