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Hatte man einen neuen Anzug oder sonst ein neues Kleidungsstück an, hatte man zum Namenstag einen Pelzkragen, einen Stock mit silberner Krücke oder eine feine Meerschaumzigarrenspitze bekommen, versäumte man nicht, diese Kostbarkeiten, geschwollen vor Einbildung, seinen staunenden, neidischen Mitbürgern vorzuführen.

Frisch Verlobte schoben, ostentativ aneinandergehangen, mit enormem Selbstbewußtsein über die Allee.

Eine bedeutende, außerordentliche Rolle spielte auf der Promenade „der Leutnant“ – der Leutnant vom Bezirkskommando, an welchem außer ihm noch ein überreifer Major als Kommandant und ein Feldwebel wirkten. Sonst lag kein Militär in der Stadt. Die Bürger sprachen mit maßlosem Stolz von „der Garnison“.

Die ungeteilte Bewunderung und das ehrfurchtsvolle Interesse der Bürger war auf die Person des Leutnants konzentriert, als dem Idealrepräsentanten des militärischen Gedankens.

Es war die Sehnsucht jedes Bürgers, einmal in seinem Leben mit dem Leutnant auf der Promenade auf und ab zu gehen, auf und ab. –

Anatol Brustkorb hatte irgendwie den Leutnant kennen gelernt.

Eines Sonntags sah man Anatol, violett im Gesicht vor heiliger Erregung, Seite an Seite mit dem Leutnant auf der Promenade. Seite an Seite, angeregt plaudernd. Anatol sprach forciert laut in der Perspektive auf die anderen Leute.

„Weibäh, Weibäh“, schnarrte er. Der gute Anatol mit dem Gesicht voller Mitesser. „Weibäh, Weibäh!

Empfohlene Zitierweise:
Hermann Harry Schmitz: Der Säugling und andere Tragikomödien. Ernst Rowohlt Verlag, Leipzig 1911, Seite 88. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_Harry_Schmitz_Der_Saeugling.djvu/088&oldid=- (Version vom 1.8.2018)