Seite:Hermann Harry Schmitz Der Saeugling.djvu/100

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zustutzen läßt. Oder Schleiermacher, der peinlich darüber wacht, daß man ihm den Scheitel durchzieht und mit Pomade festlegt. Oder Kant, der sich Koteletten und eine Fliege wachsen lassen will. Oder Friedrich Rückert, der etwas gegen seine Schuppen tun will!

Von der Fülle der sich häufenden Gesichtspunkte war ich völlig konfus geworden.

Auf jeden Fall aber hatten die Anregungen meines Freundes so auf mich gewirkt, daß ich den vornehmen Friseur fast wie ein höheres Wesen betrachtete. Mit heiligen Schauern betrat ich sein Geschäft und drückte mich ganz klein und bescheiden, mit einer tiefen Verbeugung scheu an ihm vorbei.

Einen ähnlichen, nicht ganz so ausgesprochenen Respekt habe ich nur noch vor Oberkellnern und Portiers großer internationaler Hotels, vor Müttern mit heiratsfähigen Töchtern, vor Bezirksfeldwebeln, vor satisfaktionsfähigen Ehemännern hübscher Frauen und vor Zollkontrolleuren. –

Dann geschah eines Tages das Furchtbare.

Ich hatte sämtliche acht Gehilfen beschäftigt vorgefunden und mich still in dem letzten leeren Rasiersessel mit einer sehr zerlesenen Nummer einer illustrierten Wochenschrift aufgebaut und mit dem denkbar größten Interesse eine darin abgebildete gräfliche Hochzeitsgesellschaft beguckt, deren Namen von links nach rechts zu lesen waren, als ich plötzlich jemanden hinter mich treten fühlte, einen weißen Frisiermantel umgehangen bekam und aufschauend im Spiegel voller Grauen und Entsetzen den vornehmen Friseur in eigener Person erblickte, wie er sich anschickte, selbst Hand an mich zu legen.

Der Angstschweiß trat mir auf die Stirn. Ich wollte

Empfohlene Zitierweise:
Hermann Harry Schmitz: Der Säugling und andere Tragikomödien. Ernst Rowohlt Verlag, Leipzig 1911, Seite 100. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_Harry_Schmitz_Der_Saeugling.djvu/100&oldid=- (Version vom 1.8.2018)