Vor nichts in der Welt habe ich einen so gewaltigen Respekt, wie vor jenen Männern, die hinter Schaltern thronen.
Es ist merkwürdig damit!
Solche Männer mögen uns in der elektrischen Bahn gegenübersitzen, oder am gleichen Tisch ihr Bier trinken, oder im Dampfbad neben uns schwitzen – ihre harmlosen Gesichter werden uns nicht beunruhigen oder auch nur den geringsten Eindruck auf uns machen. Wir werden ihnen vielleicht mit den Ellenbogen in die Seite rennen, oder ihnen auf die Füße treten, oder ihnen mit der brennenden Zigarre in das Gesicht laufen und uns nur matt entschuldigen. Unsere Ehrfurcht ist gering.
Aber es wird anders, wenn diese Menschen hinter ihrem Schalter sitzen.
Sie erscheinen uns jetzt wie die Priester eines starren Prinzips, einer kosmischen Institution, die hinter der Schalterwand wie in heiligen Tempelnischen sitzen, abgesondert von der Welt. Nach ihrem ewig-weisen Dünken lüpfen sie ab und zu ein wenig den Vorhang, der sie den fürwitzigen Augen der profanen Menge entzieht, um der Herde Begehr, die sich an dem geweihten Orte drängt, zu erkünden.
Hermann Harry Schmitz: Der Säugling und andere Tragikomödien. Ernst Rowohlt Verlag, Leipzig 1911, Seite 103. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_Harry_Schmitz_Der_Saeugling.djvu/103&oldid=- (Version vom 1.8.2018)