Ersatz in allen Schubladen. 8.28. Kragenfrage erledigt. Der Zug hat gewöhnlich Verspätung. Schnell in die Schuhe. Der Schuhriemen reißt. 8.30 stürze ich aus dem Hause und komme noch gerade früh genug zur Bahn, um die bunten Endlichter des Zuges in der Ferne verschwinden zu sehen. Es war der letzte Zug nach D. – Arme Änne! Adieu, schönes Fest! Änne wußte, daß für mich nur dieser Zug in Frage kam. Was blieb ihr anderes übrig, als, wütend über mein Ausbleiben, mit dem nächsten Zug nach K. zurückzukehren. So nahm ich an.
Ich setzte sie noch durch eine Karte von meinem Mißgeschick in Kenntnis und betrank mich dann gräßlich.
Zwei Tage später erhielt ich von Änne folgenden Brief:
Du bist ein ekelhaftes Scheusal. Ich hatte extra die durchbrochenen Strümpfe angezogen und die netten Brüsseler Höschen von Dir. Ich hätte mich ja an dem Abend so gerne gerächt für Deine Tappigkeit. Wenn ich nur jemanden gehabt hätte mit wem. Aus Deiner Karte sehe ich, daß Du wieder einmal Deinen verkorksten Tag hattest, vielleicht ist es noch ganz gut, daß Du den Zug verpaßt hast; wer weiß, was sonst noch alles passiert wäre.
Höre, was ich Merkwürdiges erlebt habe.
Ich hatte mir mit Ach und Krach das Fahrgeld für eine einfache Karte dritter Klasse zusammengepumpt; 10 Pfennig hatte ich noch übrig. Die Rückreise solltest Du mir schmeißen. In D. angekommen, habe ich
Hermann Harry Schmitz: Der Säugling und andere Tragikomödien. Ernst Rowohlt Verlag, Leipzig 1911, Seite 120. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_Harry_Schmitz_Der_Saeugling.djvu/120&oldid=- (Version vom 1.8.2018)