Wort für Wort, erst langsam, stockend, dann hingerissen von der Allgewalt der Musik, der Sprache, ließ ich die Worte wie köstlichen Wein über die Lippen gleichen: Si prega di non sputare nella carrozza – – – – – sputare nella carrozza – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Ein Rasseln. Ein Pfeifen. Ich werde hin und her geschüttelt. Träume ich oder wache ich? Greifbar sehe ich das Pergament vor meinen Augen. „– – non sputare nella carrozza,“ wiederhole ich immer und immer wieder.
„Billett vorzeigen!“ – höre ich dicht neben mir rufen. Man schüttelt mich. Ich springe auf. Wie hypnotisiert hängt mein Blick an dem Pergament dort. Die schönen Frauen sind verschwunden, zerflossen die schöne Vision der Marmorhallen, der Asphodeloswiese – nur das Pergament ist geblieben. Ich spreche die Worte vor mich hin, noch immer im Bann der göttlichen Sprache Dantes.
„Na, wird’s bald mit dem Billett,“ schnauzt jemand auf mich ein, „hören Sie doch endlich auf, das Spuckverbot aufzusagen!“
Ich rieb mir die Augen. Richtig – ich befand mich in meinem Coupé im durchgehenden Wagen. Nach Italien. Das vermeintliche Pergament war ein Emailleschild, auf welchem in deutsch, französisch und italienisch gebeten wurde, nicht auszuspucken.
Es klang aber doch einfach grandios, in seiner Phonetik geradezu überwältigend: „Si prega di non sputare nella carrozza!“ –
Ich hätte die weiteren zwei Flaschen Rüdesheimer nicht trinken sollen, es wäre besser gewesen. Auch die sieben Kognak waren nicht nötig.
Hermann Harry Schmitz: Der Säugling und andere Tragikomödien. Ernst Rowohlt Verlag, Leipzig 1911, Seite 144. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_Harry_Schmitz_Der_Saeugling.djvu/144&oldid=- (Version vom 1.8.2018)