dahin, auf unsere Mitreisenden, dann aber auch vor allen Dingen auf Hotelbedienstete, Kutscher, Chauffeure, Gepäckträger usw. einen möglichst imponierenden Eindruck zu machen. Meistens gelingt uns nichts. Denn trotz der gequältesten Grandseigneurpose werden wir von diesen Leuten, die bessere Menschenkenner sind, als wir vermuten, fast ohne Ausnahme richtig eingeschätzt. Der kleinste Liftboy in einem Hotel vom Schlage des Riviera Splendid Palace (sprich Pälläß) verfügt über eine größere Menschenkenntnis, wie ein im Amte ergrauter Staatsanwalt.
Ich habe alle die sich tief verbeugenden und devot zu unserer Bedienung herbeieilenden Geister im Verdacht, daß ihnen selbst die X-Beine einer Fürstlichkeit oder der Spitzbauch eines Multimillionärs nicht heilig sind und daß sie diese gerade so boshaft kommentieren, wie den braunen Segeltuchkoffer eines Oberlehrers oder den schüchternen Auftritt eines Neulings im Hotel-Vestibül.
Ich möchte behaupten, daß bei den livrierten und befrackten Philosophen an der Riviera in der Hochsaison eigentlich nur die große Demimondaine, und der Hochstapler in der Art eines Manolescus, alias Fürsten Lahovary, etwas gilt. Diese beiden Menschenkategorien betrachten mit absoluter, innerster Überzeugung den ganzen Aufwand einer Saison an der Côte d’azure lediglich als Inszenierung für ihre Person, und es gelingt ihnen tatsächlich durch ihr Auftreten, ihre Umgebung zur stillschweigenden Anerkennung dieser Auffassung zu zwingen. –
Will man in einem besseren Hotel nicht von vornherein der allgemeinen Verachtung anheimfallen, so merke man sich folgendes:
Hermann Harry Schmitz: Der Säugling und andere Tragikomödien. Ernst Rowohlt Verlag, Leipzig 1911, Seite 162. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_Harry_Schmitz_Der_Saeugling.djvu/162&oldid=- (Version vom 1.8.2018)