Dann würde er dir schildern, wie sich der Rhein, unser Rhein, der deutsche Rhein (sie sollen ihn nicht haaaben) heroisch aus den dumpfen Umstrickungen der morgendlichen Nebel befreit und triumphierend seine Silberfluten durch die Lande trägt zu fernen Meeren, wie die schlanken Schiffe ihre Straße ziehn (Fridolin, Fridoliiiin) und der munteren Schiffer kräftiges „Ahoi“ den Morgenglast durchdringt, wie die Sonne den Sieg davonträgt über das dräuende Wolkenheer und dort über den Zinnen jener pittoresken Burg (ja, „pittoresken“ wird er unbedingt sagen) als Apotheose alles Guten und Edlen emporsteigt.
Dann würde er erzählen, wie er am Abhange eines Berges sitzt und in das Rheintal hinabschaut, wie sein Blick an einem braunen Fleck dort auf jener schon herbstlich gefärbten Waldwiese haftet, und der braune Fleck plötzlich Leben bekommt und ein scheues Reh behende davoneilt.
Von den wackeren Grünröcken, wie sie ausziehen zum fröhlichen Gejaid bei des Hifthorns Klang, würde er dir vorschwärmen. Von den Abenden in der umrankten Laube vor dem Hause, wenn die Römer zusammenklingen und der Blick sich versenkt in die blitzenden, braunen Augen eines rheinischen Mädels, wenn irgendwo eine sonore Männerstimme, von melodischen Akkorden einer Gitarre begleitet, anhebt zu singen, und alle begeistert einfallen: „Nur am Rhein, da möcht ich leeeeeben!“
Ja, ja, so würde des geschickten Feuilletonisten Herzen überquellen, und er würde des Beifalls seiner Leser sicher sein.
Ich aber, der ich seit einigen Wochen hier zwischen Koblenz und Rüdesheim am Rhein sitze, ich kann
Hermann Harry Schmitz: Der Säugling und andere Tragikomödien. Ernst Rowohlt Verlag, Leipzig 1911, Seite 182. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_Harry_Schmitz_Der_Saeugling.djvu/182&oldid=- (Version vom 1.8.2018)