gefahren zum Zahnarzt, der doppelt so teuer war, wie der Zahntechniker. Wir tranken fünf Flaschen. Frau Plümecke sahen wir nicht.
Am folgenden Tag saß sie wieder auf ihrem alten Platz am Schanktisch.
Sie hatte den Kopf verbunden, sah aber sonst menschlich aus. Sie blickte uns streng an. Wir schlugen die Augen nieder. Sie mußte die Lücke im Keller bemerkt haben. Es kam mir schwer an, mit ihr zu reden. Der Blick in den Höllenrachen wollte mir nicht aus der Erinnerung. Es mußte aber unbedingt etwas geschehen. Ich nahm meine ganze Energie zusammen und sagte mit dem herzlichsten Tonfall, den ich aufbringen konnte: „Jetzt ist wohl wieder alles in Ordnung. Können wir der mutigen, famosen Wirtin vom Jägerhaus, der Hebe, der Göttin des besten Tropfens des Rheingaues gratulieren?“
„Ja, ja, der famosen, mutigen Frau Wehneibe Plümecke,“ trug Wolfram Mertens auch sein Teil bei, um die Stimmung zu heben.
Stillschweigend kramte Frau Plümecke in ihrer Tasche herum und brachte ein kleines Zeitungspapierpaketchen, das recht unappetitlich aussah, zum Vorschein. „Da sehen Sie!“ Sie schob mir das Päckchen über den Tisch zu.
Mit bebender Hand öffnete ich es. Acht abgebrochene Zähne, zwei Wurzeln, Stücke vom Kiefer und was weiß ich, was alles so in einem Mund loszubrechen ist, fielen mir entgegen und sprangen mit schauerlichem Geklapper über die Tischplatte. Einen schrecklichen Anblick bot jener mächtige Backenzahn, in welchem, wie eine Lanze in der Leiche eines Nibelungenrecken, der abgebrochene Bohrer stak.
Hermann Harry Schmitz: Der Säugling und andere Tragikomödien. Ernst Rowohlt Verlag, Leipzig 1911, Seite 190. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_Harry_Schmitz_Der_Saeugling.djvu/190&oldid=- (Version vom 1.8.2018)