Ich ertappte mich plötzlich dabei, wie ich schüchtern an meinem wohlgerundeten Bäuchlein herumzudrücken begann. In der Tat, wenn ich an eine Stelle in der rechten Seite kam, glaubte ich ein gelindes Unbehagen zu verspüren! –
Dummes Zeug. Es war ja auch nicht nötig, am Bauch herumzuklopfen. Dennoch kam eine eigentümliche Unruhe über mich. Das wäre ja schrecklich, wenn ich nun doch tatsächlich krank wäre, ein Leiden in mit trüge! Jetzt, wo ich alles hatte, was mein Herz sich wünschte!
Zum erstenmal wollte es mir nicht so recht schmecken, zum erstenmal kam ich auf dem Diwan nicht zur träumerischen Ruhe. Der quälende Gedanke an eine Krankheit begann, sich in mir festzusetzen. Immer wieder befühlte ich meinen Bauch, und je mehr ich untersuchte und knetete, um so mehr empfand ich dabei, nicht nur an der rechten Seite, sondern überall ausgeprägte Schmerzen. Ich fühlte den Puls, beschaute mich im Spiegel, lief aufgeregt im Zimmer umher. Mit meiner göttlichen Behaglichkeit und Sorglosigkeit war es aus. Meine Köchin war fassungslos: selbst frische Langusten und gebackene Austern ließen mich kalt.
Was mochte das für eine Krankheit sein? Ich stöberte im Konversationslexikon herum und fand, daß in der rechten Seite der Blinddarm säße. Ein wahnsinniges Entsetzen packte mich. Blinddarmentzündung? Diese furchtbare Krankheit grassierte ja jetzt allenthalben und forderte unzählige Opfer. Warum sollte mich Sebald eigentlich in einer so ernsten Sache täuschen?
Mehrere Tage verbrachte ich in qualvollen Reflexionen.
Hermann Harry Schmitz: Der Säugling und andere Tragikomödien. Ernst Rowohlt Verlag, Leipzig 1911, Seite 238. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_Harry_Schmitz_Der_Saeugling.djvu/238&oldid=- (Version vom 1.8.2018)