Meine Köchin hatte meine Wohnung in der alten Heimeligkeit und Bequemlichkeit wieder hergerichtet und die exquisitesten Zungen- und Gaumengenüsse zu meinem Empfang vorbereitet.
Ich begann, die schlimmen Tage zu vergessen und an ein neues Leben in alter Beschaulichkeit zu glauben. Alles war wie einst, wie in den glücklichen Tagen vor dieser Malefizblinddarmsache. Ich fühlte mich frei und sicher. Das Damoklesschwert war beseitigt: dort war es in dem kleinen Einmachsglas. Man hatte mir den Blinddarm im Krankenhause in diesem Glase mitgegeben. Ich stellte ein Leiterchen hinein. Wenn es schlechtes Wetter war, saß der Blinddarm unten, wenn es aber gutes Wetter war, saß er unten.
So lebte ich mein Leben einige Wochen lang in meinen alten Gepflogenheiten, wunschlos, weltfern und glücklich.
Ich lag eines Tages nach einem allzu reichlichen Mahle auf meinem Diwan. Unruhige Gedanken an meine Blinddarmtragödie störten plötzlich mein Sinnieren. War ich nur wirklich gesund? Es war mir eigentlich nicht immer so, wie es hätte sein sollen. Ich fühlte mich häufig beschwert und hatte das Gefühl, daß es in meinem Bauche nicht so recht stimmte. Eine peinliche Sorge um meine Gesundheit quälte mich, die mit jedem Tag stärker wurde. Jede Indisposition geringster Art beschwor die schrecklichsten Vorstellungen und Vermutungen. Ich begann, meinen Körper auf das peinlichste zu kontrollieren.
Ich abonnierte auf medizinische Fachblätter. Das hätte ich lassen sollen, es wurde mein Verderb. Denn
Hermann Harry Schmitz: Der Säugling und andere Tragikomödien. Ernst Rowohlt Verlag, Leipzig 1911, Seite 245. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_Harry_Schmitz_Der_Saeugling.djvu/245&oldid=- (Version vom 1.8.2018)