Sehr geschwächt, übernervös, achttausend Mark leichter, verließ ich nach einigen Monaten die Klinik in Jena.
Erst nach Monaten begann der Wille zur Beschaulichkeit allmählich die schwarzen, beunruhigenden Reflexionen über meine Gesundheit mehr und mehr zu verdrängen. Ich segelte fast völlig wieder im Fahrwasser köstlicher Harmonien.
Nur selten noch griff ich zu den medizinischen Blättern. Unglücklicherweise mußte mir durch Zufall eines Tages nun doch wieder eine Nummer in die Hände fallen. Ich Unglücklicher! Ich fand einen Artikel des bekannten Geheimrates Möhrenfeind, der als Unterleibspezialist einen anerkannten Ruf hatte. Er vertrat den gleichen Standpunkt wie Langebühdel über die gefährlichen Konsequenzen einer Appendixoperation, bekämpfte aber entschieden, als direkt lebensgefährlich, den Ersatz aus Gummi nach Langebühdel. Nur ein Ersatz aus animalischer Materie könnte in Frage kommen. Seine epochale Erfindung: „Blinddarmersatz aus Schafsdarm“ wäre die Lösung dieses Problems. Die Träger von „Langebühdel“-Blinddärmen befänden sich in fortgesetzter Lebensgefahr durch die unbedingt eines Tages eintretende Zersetzung des Gummis.
Ich warf mich vom Diwan und wälzte mich laut schreiend auf dem Boden herum.
Ich flüchtete mich in das Dunkel des Kellers und vergrub mich dort in den Kohlen. So blieb ich drei Tage in Stumpfsinn und völliger Apathie.
Dann löste sich plötzlich die Starre. Neue Lebensenergien regten sich mit Gewalt. Was, jetzt sterben?
Hermann Harry Schmitz: Der Säugling und andere Tragikomödien. Ernst Rowohlt Verlag, Leipzig 1911, Seite 247. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_Harry_Schmitz_Der_Saeugling.djvu/247&oldid=- (Version vom 1.8.2018)