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finden, die sich des Leidens rühmen. Es ist doch eine eigenartige Erscheinung, daß seit dem Karfreitag Apostel und Evangelisten, Propheten und Märtyrer, zarte Frauen und erlauchte Männer, große Geister und erhabene Forscher nichts anderes rühmen und nichts anderes zu rühmen begehren als ihr Kreuz. Um nur einen zu nennen, der uns allen am teuersten ist, Luther. „Das habe ich jetzt gelernt,“ sagt er, „daß am Hofe meines Herrn Christus nur das Kreuz Hoffarbe ist, und daß er auf Erden keine andere Farbe seines Hofgewandes ausgibt als das Kreuz; darum will ich das Kreuz nehmen.“ – Nenne es Berufskreuz, nenne es Kreuz, das dir dein Charakter auflegt, Kreuz des Bekenntnisses, heiße es Kreuz deines täglichen Lebensganges: jetzt auf einmal fällt auf das ärmste Kreuz, das du nicht einmal deinem treuesten Freunde zeigen magst, und auf die entlegenste Lebensaufgabe, die du nicht einmal dem teuersten Menschen ganz sagen kannst, ein verklärendes Licht: „Jesu geh voran, auf der Lebensbahn.“ „Soll’s uns hart ergeh’n, laß uns feste steh’n!“ Jetzt wird auf einmal der Chor derer, die das Kyrie eleison mitten im Leide gesungen mit dumpfverhaltener Stimme, zu einem Chor derer, die ihr Hosianna mit schon hellerem Tone anstimmen, weil sie überwinden, und endlich klingt es aus in das jubelnde Halleluja, weil sie überwunden haben. Jetzt nimmt der einzelne Christ jeden Morgen das altgewohnte Kreuz auf und sieht es an, nicht mehr als lästige Pflicht, nicht mehr als schwere, unbehagliche und unbequeme Arbeit, sondern als eine lichte, Gott zu dankende und von oben empfangene Gnade: „Jesus würdigt mich, ihm nach das Kreuz zu tragen.“ Jetzt begegnen sich Eheleute, die sich am Altare nicht bloß für die lichten Tage, da man einander versteht, sondern auch für die Zeiten, da man einander nimmer zu deuten vermeint, Treue gelobten und sagten: „Wir wollen das Kreuz miteinander anfassen.“ Und es gibt keinen Streit, wer ein größeres und wer ein geringeres