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daß ich die Vernunft unterschätze, denn ein Christ ist nebenbei auch ein ganz vernünftiger Mensch, vielleicht sogar vernünftiger als sein Gegner. Ihr werdet mir glauben, daß ich das hohe Gotteslicht der Vernunft hoch ehre, man kann gar nicht vernünftig genug sein; und Christ und Unvernunft gehören gewiß nicht zusammen, ein Törichter ist nicht zum Christentum prädestiniert, und auch nicht jeder Christ ist ein Tor; aber Jesum finde ich nicht durch die Forschung. Ich finde die Lücke, die nur Er ausfüllen kann; ich merke die Leere, die nur Er trösten kann; ich werde des Abgrundes gewahr, den nur Er überbrücken kann, aber Ihn kann meine Vernunft weder erkennen noch schaffen, denn Er ist ewiger, wahrer Gott.

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 Ich glaube, daß ich – wie es im lateinischen Texte heißt – nicht aus den Kräften meiner Vernunft an Jesum Christum glauben kann. Ich kann auch nicht aus eigener Kraft zu Ihm kommen. So oft ich in mir denke, ich will mit meiner Kraft den Erlöser erfassen, habe ich eigentlich gesagt: ich will mich selbst erlösen. Denn wenn ich aus eigener Kraft zum Arzte gehen kann, dann brauche ich ihn nicht. Ein Gelähmter, der aus eigener Kraft den Arzt aufsucht, ist nicht gelähmt oder er sucht ihn nicht auf. Und ein Gebundener, der aus eigener Initiative den Arzt aufsucht, ist eben nicht gebunden. Ich kann nicht aus eigener Vernunft noch Kraft an Jesum Christum, meinen Herrn, glauben oder zu Ihm kommen. So weit müßt ihr wohl mit mir gehen, daß ihr einstimmig sagt: es gibt keine religiöse Veranlagung. Man hört ja oft und liest es oft: der und der Mensch ist eben religiös veranlagt, so wie der eine musikalisch, der andere künstlerisch, ein dritter rhetorisch veranlagt ist. Das ist nicht wahr! Das wäre eine Ungerechtigkeit Gottes, wenn Er den einen Menschen religiös begabte, den andern nicht; der eine käme dann heim und der andere bliebe heimatsfern. Nein! Wenn ihr nur das eine erkennt: zwischen uns und