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Er dir deine Sünde vergeben will: „erkenne mich, mein Hüter mein Hirte, nimm mich an!“ so ist das der rechte, der aufrechte Glaube, der Glaube, der uns nicht immer auf die Erde sehen läßt, als ob man da unten das einzige Gut finde, – auch nicht immer zur Seite sehen läßt, irgendwohin, als ob wir etwas zu erwarten hätten aus einem noch unentdeckten Lande, als ob daher uns Hilfe käme, sondern der unsere Blicke immer geradeaus hinauf zum Kreuze lenkt.

 O, ich weiß wohl, der Glaube ist nicht jedermanns Ding (2. Thess. 3, 2.), aber nicht, als ob nur etliche religiös veranlagt wären, das gibt’s nicht, sondern weil die meisten den Blick aufs Kreuz scheuen. Den meisten ist es unsympathisch, von einem Gehängten seine Lebensbedingungen empfangen zu sollen. Wir aber sagen: wir danken dem heiligen Geiste, daß er uns zu schanden werden ließ und uns alles, alles verlieren machte, damit wir Christum gewinnen möchten. – Ich bin einmal vor Jahren am Sterbebette eines armseligen Tagelöhners gestanden und habe nichts, aber auch gar nichts mit ihm und an ihm erreicht, soweit der Mensch in diesen Dingen urteilen darf. Er hatte nur den einen Wunsch, daß er einen alten, armseligen Stock, den er einmal gefunden hatte, in seiner Todesnot haben und im Sarge bei sich behalten dürfte. Das war sein Gott, und mit diesem Stock in der Hand ist er gestorben. Man lächelt über diesen Alten und Armen und meint wohl: das war eben Alterswahn. O Christen, es hat jeder irgend ein Ding, das er gerne behalten möchte: seinen Verstand, seine Kunst, seine Schönheit, seine Bildung, seine Beliebtheit. Vor Gott aber ist und gilt dies alles nicht mehr, als der armselige Knüppel in der Hand des Bettlers.

 Aber wohl dem Menschen, dem der heilige Geist den letzten Erdenrest herausglühte und die letzte Erdengabe herausreißt: