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dir am besten mundet, – das ist alles Heiligung. Und wenn du einmal zu einem armen Bettler in sein Dachkämmerlein hinaufsteigst oder dir einen Operngenuß versagst wegen eines Krankenbesuches, so ist das Heiligung. Und wenn du dir das in die Oper Gehen ganz abgewöhnst, ist es auch kein Unrecht. Das Feld der Heiligung ist unübersehbar und die Gelegenheiten zur Heiligung sind wie der Sand am Meere. Jeder Schritt und jeder Tritt ist ein Moment der Heiligung deines Lebens oder der Entheiligung.

 Er hat mich im rechten Glauben geheiligt. Er sagt nicht: tue etwas Heroisches! sondern: tue deine Pflicht! und zwar tue sie vor dem Herrn!

 Ach, glaubt mir, ein reiflich erwogener, ernstlich überdachter, aller Bitterkeit entkleideter Brief ist ein größeres Heiligungswerk als ein Wochenfasten. Und ein Gruß, der Selbstüberwindung erfordert, ist mehr wert als vieltausend Grüße im erborgten Glanze. Freilich wird die Heiligung, je älter man wird, desto schwerer; denn das Pflichtgebiet wird, je älter ein Mensch wird, desto weiter. Dinge, die vor zwanzig Jahren mir kein Herzklopfen verursachten, werden jetzt herzbeschwerend. Fragen, die ich vor fünf Jahren vielleicht noch lächelnd beiseite stellte, treten jetzt ins Licht der Ewigkeit. Der Hausflur, die Treppe, der Gang, der Vorplatz sind auf einmal Tempel der Heiligung. Die Waschfrau, der Briefträger, der Bettler sind Objekte der Heiligung geworden. Wer denkt daran, daß er auch der Waschfrau gegenüber geheiligt sein müsse? Da läßt man sich doch gehen, es ist ja nur ein Dienstbote, den man zahlt. Je mehr der heilige Geist in einem Menschenleben regiert, desto ernster und enger – nicht wird das Herz, nein, das wird weit und froh – aber wird das Gewissen.

 Er hat mich im rechten Glauben geheiligt und erhalten. Tausendmal hätte Er das Recht gehabt, mich zu verlassen: sinke in den Abgrund, du willst es nicht anders. Tausendmal gab ich