Seite:Hermann von Bezzel - Der Beruf der evangelisch-lutherischen Kirche zum Amt der Diakonie.pdf/121

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reden, die sich derselben möglichst entziehen und entschlagen. Erst dann, wenn Sie ernst und streng gegen sich selbst sind, haben Sie das Recht, andern Vorhalt zu machen in bestimmter Weise. Nur wer sich selbst erzieht, kann andere erziehen. Weitere Pflichten des Gemeinschaftslebens kann man mit den Worten bezeichnen: Diskretion!

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 Wahrheit in der Liebe und in der Zurückhaltung! „Alles, was Du sagst, sei wahr; aber sage nicht alles, was wahr ist.“ Wenn St. Jakobus von der Zunge spricht, dem furchtbaren Uebel, so wird er wohl gerade an die furchtbaren Verheerungen gedacht haben, welche dieses Glied im Gemeinschaftsleben anrichtet. Wenn Sie Fehler sehen, so rügen Sie dieselben zunächst unter vier Augen. Sprechen Sie nicht so viel nach außen, vor allem bei außen Stehenden nicht, über innere Verhältnisse. Wo wäre da noch Treue zu schauen? „Die Liebe glaubt alles, sie hoffet alles, sie duldet alles.“ Das muß den Tod des Genossenschaftslebens herbeiführen, wenn man nicht mehr solidarisch sich verbunden weiß. So will es manchmal scheinen, als ob manche Schwester einsam in der Genossenschaft stünde, nicht zunächst durch ihre Schuld, sondern weil sie etwas Trübseliges an sich hat. Wenn sie aber Christum lieb hat, soll sie nicht ignoriert werden. Es ist etwas tief Trauriges, wenn eine Seele mit Wohlbehagen einsammelt, was über eine andere gesagt wird, halb Wahres, halb Erlogenes, ganz Erlogenes. Würde das in weitere Kreise kommen, so würde die Genossenschaft nur noch ein Ganzes sein, mühsam zusammengehalten, aber nicht ein Ganzes, das der Heilige Geist regiert. Es läßt sich hier einzelnes nicht vorschreiben; aber wenn jemand Jesum kennt, mit der barmherzigen Verschwiegenheit, kraft deren Er unsere Missetat nicht bloß vergibt, sondern auch vergißt, so kann der Mensch auch schwere Fehler vergeben und barmherzig vergessen. Lernen Sie vergeben, denn es ist die schwerste Kunst. Wie muß es doch dem Herrn manchmal schwer werden, zu sehen, daß unter denen, die Seinen Namen nennen