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so weit die Wahrheit es erlaubt, ein, lasse auch, weil die Liebe es verstattet, sich über seine Verständnislosigkeit schelten und suche das Vertrauen zu gewinnen. Der Geistliche ist ja nicht dazu berufen, krankhafte Vorstellungen zu bannen noch sie zu verstärken, wohl aber zu trösten soweit er kann. Man lächelt oft über die Hysterischen, diese armen und gebundenen Menschenkinder, bei denen Krankheit und Wahn, Offenheit und Verschlagenheit, schwermutvoller Ernst und gesuchte Freundlichkeit schwer aneinandergrenzen. Sie gewähren dem unerfahrenen Seelsorger stets ein andres Bild, sprechen sich aus und hängen sich an jedes Wort des andern, um es zu drehen und zu deuteln, reizen und beleidigen, um Verzeihung erbitten zu können, reden Böses, um die Lust gestraft zu werden, genießen zu dürfen. In diesen wechselvollen Spielen armer Gefangener ist nur Nüchternheit und Ernst von Segen. Beides muß gewahrt bleiben und hilft den Kranken, die sich erkannt sehen und doch nicht verstoßen wissen. Die leidenschaftlichen Selbstanklagen, in denen diese Armen sich immer genug tun, die fortgesetzten Bekenntnisse von unerhörten Sünden, die sie nicht sagen könnten, die sofortige Hinweisung auf unvergebbare Sünde, der Wechsel zwischen Mangel und Überfülle von Energie, ihre Beobachtung, ob sie Eindruck machen, dies alles will als Kreuz erfaßt und in dieser Erkenntnis getragen sein. Gemeiniglich wird darum die Seelsorge bei den akuten Kranken leichter sein, die Zeit ist kürzer zusammengedrängt, das Bild einfacher. Darum aber auch die Pflicht drängender, dem besonders Genommenen besonders zu dienen. –