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damit herrliche Lieder, nur weil sie lang sind, nicht bloß nach den ersten und letzten Versen bekannt sind und bleiben. Es ist durchaus nicht notwendig, daß der Gesang knapp an die Perikope sich anschließe, aber notwendig ist, daß der Schlußgesang das dankende Amen der Gemeinde auf das Gehörte wenigstens ermögliche. In der Wahl des Liedes erkennt man die innerliche Sorgsamkeit und in der Wahl der Melodie das Verlangen, die Gemeinde froh zu stimmen. Man habe auch den Mut, viel singen zu lassen: lieber kürze man die Predigt ab als das Lied. Die Gemeinde singt gerne, und die ψαλμοὶ καὶ ᾠδαὶ (Kol. 3, 16) πνευματικαὶ haben ihr gutes Recht und wollen und sollen es haben.

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 Die Gefahren des Predigers sind das schmeichelnde Lob und der verbitternde Tadel, denn beide führen zur Lässigkeit und Lauheit. Dem Anfänger wird jene, dem älteren Prediger diese Gefahr mehr nahen. – Der jugendfrische, unmittelbare, frohgemute Anfänger, dem die eben vergangene Zeit noch den Wagemut gelassen und gestärkt hat, gewinnt durch Frische, wohl auch durch den feurigen Vortrag und durch manche gewagte Behauptung, die ihm willig nachgesehen wird. Der natürliche Mensch sieht es gerne, wenn um die Kanzel sich die Leute scharen, und hört das liebliche Getöne des Lobes mit Freuden. Das ist an sich erlaubt und gut. Aber die Gefahr der Selbstüberschätzung, die das Geschenk Gottes als eignes Vermögen ansieht und die Leistung je höher wertet, je mehr sie gefällt, wird von dem Feinde aller Selbstzucht heraufbeschworen, der ein armes Menschenleben von dem Quell der Wahrheit