Seite:Hermann von Bezzel - Einsegnungs-Unterricht 1909.pdf/49

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Mensch, gedenke an deine Seele, du hast nur die eine, wenn du sie verlierst, was hast du dann? wenn du ihr Schaden zufügst, wer mag sie heilen? In unsern Diakonissenschulen werden jetzt eine Menge von Fragen behandelt – ach, ich weiß noch mein Erstaunen, als dem Neuling Fragen vorgelegt wurden über die er sich vorher noch nicht besonnen, und sicher sich zu besinnen nie Gelegenheit gehabt hatte. Es soll dafür darauf hingewiesen werden – und alle die fürderhin an der blauen Schule arbeiten, wollen sich das recht in die Seele schreiben: Schülerinnen, Mitschwestern, Freundinnen, wie könnt ihr denn der Kirche dienen, wenn ihr nicht des Organs gedenkt mit dem ihr dienen sollt, wenn ihr eurer Seele nicht wartet? Darum spreche ich so nachdrucksam der Umhegung, der Einfriedung, der Abschließung der blauen Schule das Wort: hier sollen Menschen auf ihre Seele sich besinnen lernen, hier sollen sie erfahren, was eine Seele wert ist und was wie die eine Seele, so Seelen überhaupt, wert sind. Gerade durch das Vielerlei, das von allen Seiten jetzt auf uns eindringt, haben wir auch den Mut verloren, selbst treue, fromme Schwestern haben den Mut nicht mehr, irgend eine Arbeit fern zu lassen, bei der die Seele der Arbeiterin leidet. Ich darf nur immer hinweisen auf alle die Unwahrheiten im Krankendienst, auf das Verschweigen, auf die Notlügen, die eben keine Notlügen sind, die nicht aus der Liebe diktiert sind. Ich darf hinweisen auf alle im Dienste, mit denen die ärztliche Weisheit Gottes Stunde verkürzt oder verlängert, auf alle die Zumutungen, die man seinem Zartgefühl hart ansinnt; ich muß die Lehrerinnen hinweisen dürfen auf alle die Beugungen der Wahrheiten in den Zeugnissen, auf alle die Konzessionen herüber und hinüber, auf die Ungründlichkeit und Scheinarbeit; und dann sage ich: wollen wir uns an das alles gewöhnen? Nein, es wird eine befreiende Tat sein, wenn ein Tag kommt, an dem die Frage uns vorgestellt wird: Hältst du noch fest an deiner Frömmigkeit? und wir einmütig sagen: Wir wollen kleine Leute bleiben und im Kleinen unsre Arbeit tun, damit wir nicht im Großen verloren gehen. Die Zeiten kommen gewiß: die Diakonie hat sich zu weit hinausgewagt und nun wird der Herr sie wieder zurückdrängen; sie hat zuviel begonnen, gewiß meistens aus treuer Meinung und nun heißt der Herr sie wieder einsamer werden. So wie sich aus dem in die Höhe geschossenen Pietismus eine große Entleerung des Glaubenslebens ergab, bis der Herr dann den edlen Rest und die treibende Kraft in neue Gefäße faßte, so hat die weibliche Diakonie in den letzten Jahrzehnten ein Uebermaß von Leben gezeigt, eine in die Höhe geschossene Pflanze dargestellt, der der Herr jetzt die Wasserschößlinge abschneidet, damit sie wieder