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Schwestern allwöchentlich – ich sage nur – 1/2 Stunde immer wieder sammelte, damit sie Erinnerungen auffrischen, an Lebensquellen sich wieder erquicken und weithinaus in die Lande sehen. Ich möchte als eine besondere Gefahr für unser Haus allen älteren Schwestern dies ans Herz und ins Gewissen legen können: wo wir merken, daß unsere jungen Schwestern der Begeisterung entbehren, Redensarten einsetzen, die Geistesgabe der Klarheit hintan treten lassen, da kehrt der Tod ein. Ach, nur keine Gewohnheit durch die Gewöhnung, nur kein Schablonentum durch das Herkommen! Man kann sehr viele Vergehungen junger Schwestern barmherzig tragen, wenn ein Aufglühen der Liebe zur Sache bemerkbar wird. Ich darf wohl – unbegreiflich und unmaßgeblich, aber aus einer Erkenntnis heraus, die ich vom ersten Tag meines Hierseins gewann, herzlich bitten, die Einsegnung zu spezialisieren. Wenn die Einsegnung die Erklärung der Oberin und Schwesternschaft ist, diese junge Schwester sei als reif für die Vollarbeit anzunehmen, und die Fürbitte der Kirche durch ihren Diener ist: Der Herr möge diese Gabe segnen, so ist es ein in meinen Augen wenigstens ganz unlogischer Vorgang zu behaupten, daß alle in der gleichen Zeit der gleichen Reife teilhaftig sein müßten. Unbekümmert um dies Reden von Bevorzugung und Parteilichkeit, und unbeirrt durch die vielen Aufregungen, die man sich ersparen könnte, wenn man „nach der Schnur“ einsegnete, habe ich immer wieder erfahren und festgehalten, daß, wie der Geist Gottes weht, wo Er will, auch wir Seinem Wehen individualisierend, spezialisierend, einzeln betrachtend nachgehen sollen. – Es ist gewiß an dem, daß die Einsegnung leider bei manchen – ich sage bei manchen – der Freibrief ist, sich nun gehen zu lassen. Gar manchmal erscheint es uns nach der Einsegnung, als ob die Morgenröte sich in eine kupferne Abendröte verwandelt hätte und das etwas erregte Leben in eine große Totenstille wieder sich hinbreitet. Es fällt mir immer wieder das Wort von Walther von der Vogelweide ein: „Ich hab’ mein Leh’n, all die Welt, ich hab’ mein Leh’n!“ Was ich haben kann, hab’ ich. Ich bin eingesegnet und nun arbeite ich „eben so zu“. Was das für eine Arbeit wird, wie viel Würze sie braucht um sich leidlich frisch zu erhalten, und wie exotisch diese Würze ist, wie sie aus allerlei Aufregung, aus allerlei Anregung und Stimulantien künstlich hergestellt werden muß, das haben wir erfahren. Wem nicht die Begeisterung die Stärke seines Lebens und wem nicht der Herr, der da Geist ist, seine Freude ist, der läuft von einem Brunnen zum andern und von einer Quelle zur andern und von einer Anregung zur andern, damit man ein leidliches Leben habe. Das würden auch die Einzusegnenden