Seite:Hermann von Bezzel - Einsegnungsunterricht 1892.pdf/74

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heißt, sein Leben hinströmen im Dienst der Wahrheit. Ein Gottesmann dieses Jahrhunderts sagt (Tholuck): „Jedes Opfern hebt an in der Tiefe“ – ja in der Tiefe der täglich sich verjüngenden, sich verneuernden Reinigung. Dies Opferleben nehme uns ganz und gar in Anspruch, erstrecke sich auf das Unscheinbarste am meisten, weil wir da am schwersten opfern, wo es der Welt am leichtesten dünkt und da am leichtesten, wo es ihr schwer vorkommt. Das ist Glaubensart. Wir sollen mit unserm Opferleben anheben bei den kleinen Gebrechen und Gepflogenheiten unseres Lebens, bei den sogenannten liebenswürdigen Schwächen, die nichts anders sind als unsere Sünde und Schuld. Es hat jeder auch seine geistigen Liebhabereien. Es giebt neutrale Gebiete, auf die wir uns zurückziehen dürfen. Der tägliche Konflikt, der beständige Kampf zwischen Sollen und Können reibt auf, darum hat unser HErr ein neutrales Gebiet in Gnaden uns überlassen, das nennen wir das Gebiet der christlichen Erholung. Dieses Gebiet ist sehr umfangreich, aber einige Regeln und Richtpunkte lassen sich geben. Ein sich etwas Nachsehen, im heiligen Sinn des Worts ‚sich gehen lassen‘, das ist uns gestattet, weil wir in diesem fortwährenden Angethansein mit der vollen Rüstung erstarren würden. (cf. das Schlafen auch der klugen Jungfrauen!) Aber diese Erholung darf nie Selbstzweck sein, nie so weit gehen, daß wir vergessen, es sind uns nur wenig Augenblicke dazu vergönnt; denn „die Zeit ist kurz“, mahnt der Apostel. Eine gewisse Abspannung unserer Kraft, einfache Unterhaltung, Lektüre eines nicht allzu anstrengenden Buches, Pflege einer uns geläufigen Kunst oder Arbeit, alles muß dem letzten Zweck dienen, neue Kräfte zu sammeln. Es liegt aber im Christenleben die Gefahr nahe, daß wir die Erholung so ausdehnen, daß sie uns pflichtmäßig erscheint, während sie nur eine Gunst ist. Hier setzt das Opferleben ein. Die Ruhe darf nur in Abzweckung auf die Arbeit angesehen werden, sonst ist sie Sünde. Eben weil die Welt die Begriffe so verschoben hat, daß sie Ruhe und Erholung als Selbstzweck ansieht, müssen wir gerade da, wo die Welt uns nicht versteht, unser Opferleben beginnen. Es handelt