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Überzeugtheit formt, wahrhaft Bildung besitzt. Reichtum an Kenntnissen, die nicht harmonisch in ein Gesamtbild sich fügen, verbildet, aber der kleine Besitz, der wirklich Eigentum geworden ist, hebt über die Armut der Durchschnittlichkeit hinaus.

 So ist auch in dem guten würdigen Bürgerstand, der seinen Kirchenplatz in Ehre und Zucht bewahrt und zu dem wohlgeordneten Hausrat die alte Familienbibel zählt, in der Geschlechter mit sorgsamer Treue die bescheidenen Erlebnisse verzeichnet haben, eine tragende, haltende Kraft. Diese ehrsamen Gestalten, die auch in der Großstadt das starke Gepräge der überkommenen Eigenart mit Bewußtheit und festem Willen durchretten, die in trefflichen häuslichen Ordnungen ein Stilleben führen, das wie Vergangenheit anmutet und doch Kraft genug für die Zukunft hat, haben der Kirche viel gegeben. Es gehört ein sittlicher Mut, die klare Entschlossenheit, die das Wissen um Vollberechtigtes verleiht, zu solchem Eigenleben. Aber aus Originalen, die es je mehr sind, je weniger sie es sein wollen, baut Gott Sein Haus, nicht aus geglätteten Fabriksteinen, bei denen die Kunst den Mangel an Bodenbeständigkeit nicht ersetzt.

 Wieder denke ich an Gestalten, wie ich sie allsonntäglich in Regensburg unter der Kanzel eines der größten und bedeutendsten Prediger sah, bei dem jede Predigt ein Ereignis war. Das waren die wehrhaften Frauen, die nicht nur in, sondern nach der Schrift lebten, arbeitsame Gestalten auch am Feiertage, für alles Große zu gewinnen, sobald sie es als groß erkannt hatten, mit dem Mute des Zeugnisses vom Erlebten, daß es sich nie überlebe, vom Erfahrenen, daß es der Erfahrung wert sei. Bilderreiche, fast feierliche Rede, gebildet aus unverblichenen Eindrücken, klares, scharfes, aber nie flaches Urteil, betender Ernst, der die Enge nicht mit Gewohnheit vertauschen ließ, hat diese Frauen zu kirchlichen Größen werden lassen, die, weil sie nicht ihre Stimme auf die Gasse sandten, von dem Hause aus bestimmend wirkten.

 Aus solchem bürgerlichen Hause, das reiche Bildung schmückt, sind Persönlichkeiten hervorgegangen, die klassisches Gepräge trugen. Ich denke an das einfache Haus im mittelfränkischen Landstädtchen, hart an dem Ufer der Altmühl. Unter dem Geranke des Laubwerkes, das an der Hauswand hinanläuft, liest man das uralte Moseswort: Lehre

Empfohlene Zitierweise:
Hermann von Bezzel: Frauengestalten aus der Landeskirche. Verlag der Buchhandlung des Vereins für innere Mission, Nürnberg 1912, Seite 11. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_von_Bezzel_-_Frauengestalten_aus_der_Landeskirche.pdf/11&oldid=- (Version vom 8.9.2016)