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Trunk aus ewigen Brunnenstuben gepriesen. Zweifler und Angefochtene haben sich aus der Hitze der Trübsal in seinen Waldesschatten geflüchtet. Kinder haben Männer aus ihm getröstet. Ein Bengel hat von einem Katechismusschülerlein seine „hohen Tentationes“ überwinden lassen. Durch die öde Heide des Rationalismus, dessen grimmer Vertreter in unserer guten Stadt Gunzenhausen vor siebzig Jahren hauste, hat er unser Volk zu den „klaren Quellen Israels“ durchgeleitet.

 Er hat das Beten gelehrt, nicht frei in mäßigen deutschen Aufsätzen langatmiger Weise mit etwas religiösem Zuckerguß, sondern schlecht und recht, kernig und kräftig, warm und wahr. Luther schilt das freie Gebet nicht. „Aus dem Buche bete ich, was ich soll, aus dem Herzen bete ich, was ich mag.“ Veit Dietrich bezeugt, wie er auf „Gobruk“, seinem Patmos, „drei Stunden des Tages, so zum Studium am tauglichsten gewesen“, im Gebete zugebracht habe. Das war freilich nicht jenes Gebet der Erregung, in dem man geistlich unkeusch wird, Gott Dinge öffentlich vorträgt, die zwischen der Seele und ihm ein Geheimnis bleiben müssen, sondern das war Schriftwort an Schriftwort, aus der Tiefe zu den Bergen der Hilfe emporsteigend. Denn „so oft ich bete, seh ich den Mann am Kreuz!“

 Der Katechismus, faßlich den Geringen und den Großen nicht zu klein, wird in unsern Tagen viel zu wenig geachtet. Und doch zeigt er uns den Sitz unserer Krankheit, zeigt auf den Arzt und lehrt, wie man zu dem Arzte kommen könne. Er ist der Anfang jener kerngesunden und heilkräftigen Erbauungsliteratur, an der unsere Kirche so reich ist, mit der sie so viele reich macht. Ihre Kennzeichen sind Schriftgemäßheit in schlichter, lauterer Ausführung der Schriftgedanken und Innerlichkeit bei praktischer Verwertung des Schrifttextes und dessen Beziehung auf das Leben. Ob wir uns die heiligen Betrachtungen des Johann Gerhard oder Arnds und Scrivers unvergeßliche Bücher oder die altwürttembergischen Väter vor nehmen, wir haben immer gesunde, heilsame Lehren und eine klare Auslegung, die still und durchsichtig aus dem ewigen Quell dahinfließt. Die wild erregten Wasser der modernen englischen Traktate, überhaupt das Traktatentum mit abgerissenen, fiebernden Sätzen, in Wiederholung eines nicht einmal klar gefaßten Gedankens, mit tumultuarischen und aufregenden, gleichsam wirbelnden Worten in maßloser Willkür der Schriftverwertung, sind unserer Kirche fremd. Solange ein lutherischer Christ sich nicht berühmen kann, in seinem Eigenen heimisch zu

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Hermann von Bezzel: Warum bleiben wir bei unserer Kirche?. Buchhandlung der Diakonissenanstalt, Neuendettelsau 1906, Seite 8. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_von_Bezzel_-_Warum_bleiben_wir_bei_unserer_Kirche.pdf/8&oldid=- (Version vom 10.9.2016)