Seite:Historische Zeitschrift Bd. 001 (1859) 123.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

den „Gesetzen“ den Vorschlag macht, eine Sammlung von guten Schriften und Kernliedern, sammt Melodieen und Tänzen, zum Gebrauch für die Bürger, und namentlich auch zu Schulzwecken, von Staatswegen zu veranstalten. Noch das Eine und Andere der Art ließe sich beibringen, so z. B. seine Vorschläge für Einführung eines menschlicheren Kriegsrechts; doch mag es an dem Angeführten genug sein.

Dagegen dürfen wir das Verhältniß der platonischen Darstellung zu jenen politischen und socialen Dichtungen nicht übergehen, welche die neuere Zeit in so großer Anzahl hervorgebracht hat. Alle diese Staatsromane, von der Utopia des Thomas Morus bis auf Cabet’s Icarien herab, sind nach Inhalt und Einkleidung Nachahmungen der platonischen Republik und der Schrift, welche den Staat der Republik in geschichtlicher Form schildern sollte, welche aber von Plato nicht vollendet wurde, des Kritias. In ihnen allen sind es politische Ideale, welche mit größerer oder geringerer Freiheit ausgemalt werden, und in allen lassen sich die bekannten Züge des platonischen Typus bald vollständiger bald unvollständiger wiedererkennen: bei dem einen die Herrschaft der Philosophen und Gelehrten, bei andern die Aufhebung des Familienlebens und des Privateigenthums, die Gemeinsamkeit der Wohnungen, der Mahle, der Arbeit, der Erziehung, da und dort selbst der Frauen. Aber Ein wesentlicher Unterschied ist es, der sie alle in ihrer innersten Tendenz vom platonischen Staat trennt. Plato’s leitende Idee ist, wie bemerkt, die Verwirklichung der Sittlichkeit durch den Staat: der Staat soll seine Bürger zur Tugend heranbilden, er ist eine großartige, das ganze Leben und Dasein seiner Mitglieder umfassende Erziehungsanstalt. Diesem Einen Zweck haben alle anderen sich unterzuordnen, ihm werden alle Einzelinteressen rücksichtslos geopfert: nur um die Glückseligkeit und Vollkommenheit des Ganzen könne es sich für ihn handeln, sagt Plato, der Einzelne habe nicht mehr anzusprechen, als mit der Schönheit des Ganzen sich vertrage. Er trägt daher nicht das mindeste Bedenken, eine kastenartige Ungleichheit der Stände und eine unbedingte Selbstentäußerung aller Bürger zur Grundlage seines Staatswesens zu machen. Bei den modernen Staatsromanen umgekehrt, fast ohne alle Ausnahme, ist es gerade das Verlangen

Empfohlene Zitierweise:
Eduard Zeller: Der platonische Staat in seiner Bedeutung für die Folgezeit. In: Historische Zeitschrift Bd. 1. Literarisch-artistische Anstalt der J. G. Cotta’schen Buchhandlung, München 1859, Seite 123. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Historische_Zeitschrift_Bd._001_(1859)_123.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)