Maria sprach:
„Sag’ es mir, mein Allerliebster, und verziehe es nicht länger.“
Johannes sprach:
„O du meine allersüßeste Fraue, sobald ich dir gesagt habe, was geschehen ist, so wirst du die allerleidigste und aller Schmerzen und der Bitterkeit voll sein! Komme bald zu meinem Herrn, deinem allerliebsten Sohne, den die Juden gefangen haben und trachten, wie sie ihn tödten. Nimm wahr, Judas Iskarioth, Einer aus den Zwölfen, hat ihn seinen Feinden um dreißig Silberlinge verrathen; er kam mit der Menge der Gewaffneten und hat ihn böslich in die Hände seiner Feinde verrathen. Komme bald, ob du ihn noch lebendig findest!“
Als Maria diese Worte hörte, fiel sie auf die Erde nieder, und das Schwert Simeonis, dessen sie viel Jahre gewartet, empfing sie mit gar viel Schmerzen und Bitterkeit.
Da ward sie von Johannes und den heiligen Frauen aufgehoben, sie schlugen einen Mantel um sie und führten sie gen Jerusalem zu ihrem allersüßesten Sohne.
Sie weinte unaufhörlich durch die Straßen der Stadt und jammerte sprechend:
„Wehe! wehe! mein allersüßester Sohn, wo werde ich dich finden! Warum haben sie dich mir genommen, mein allerliebster Sohn!“
Franz Joseph Holzwarth: Passionsbilder. Franz Kirchheim, Mainz 1856, Seite 58. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Holzwarth_Passionsbilder.djvu/64&oldid=- (Version vom 1.8.2018)