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der Rede liegenden Umstand, gleichsam materiell, nicht wo sie durch die Ideenverknüpfung formal gefordert wird. Der Plural wird wohl als Vielheit, aber der Singular nicht gerade als Einzelnes, sondern nur als der Begriff überhaupt gedacht, Verbum und Nomen fallen zusammen, wo nicht gerade Person oder Zeit auszudrücken ist; die Grammatik waltet noch nicht in der Sprache, sondern tritt nur im Fall des Bedürfnisses auf. Erst wenn kein Element mehr als formlos gedacht, und der Stoff als Stoff ganz in der Rede besiegt wird, ist die dritte Stufe erstiegen, welche aber insofern, daß auch in jedem Element die Form hörbar angedeutet wäre, kaum die gebildetsten Sprachen erreichen, obgleich darauf erst die Möglichkeit architektonischer Eurythmie im Periodenbau beruht. Auch ist mir keine bekannt, deren grammatische Formen nicht noch, selbst in ihrer höchsten Vollendung, unverkennbare Spuren der ursprünglichen Silben-Agglutination an sich trügen. So lange nun auf den früheren Stufen das Wort, als mit seiner Modification zusammengesetzt, nicht als in seiner Einfachheit modificirt erscheint, fehlt es an der leichten Trennbarkeit der Elemente, und wird der Geist durch die Schwerfälligkeit des Bedeutenden, mit der jedes Grundtheilchen auftritt, niedergedrückt, nicht durch Gefühl des Formalen wieder zu formalem Denken angeregt. Der dem Naturstande noch nahestehende Mensch verfolgt auch eine einmal angenommene Vorstellungsweise leicht zu weit, denkt jeden Gegenstand und jede Handlung mit allen ihren Nebenumständen, trägt dieß in die Sprache über und wird nachher wieder von ihr, da der lebendige Begriff doch in ihr zum Körper erstarrt, überwältigt. Dieß nun auf das wahre Maaß zurückzuführen und die Kraft des materiell Bedeutenden zu mindern, ist Kreuzung der Nationen und Sprachen durch einander ein höchst wirksames Mittel. Eine neue Vorstellungsweise gesellt sich zu der bisherigen; die sich vermischenden Stämme kennen gegenseitig nicht die einzelne Zusammensetzung der Wörter ihrer Mundarten, sondern nehmen sie bloß als Formeln im Ganzen auf, das Unbequemere und Schwerfälligere weicht, bei der Möglichkeit der Wahl, dem Leichteren und Fügsameren, und da Geist und Sprache nicht mehr so einseitig verwachsen sind, so übt jener eine freiere Gewalt über diese aus. Der ursprüngliche Organismus wird allerdings gestört, aber die neu hinzutretende Kraft ist wieder eine organische, und so wird das Gewebe ununterbrochen, nur nach größerem und mannichfaltigerem Plane fortgesetzt. Das