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anscheinend verwirrte und wilde Durcheinanderziehen der Völkerstämme der Urzeit bereitete also die Blüthe der Rede und des Gesanges in lange darauf folgenden Jahrhunderten vor.

15. Auf die eben berührte Unvollkommenheit einiger Sprachen darf aber hier nicht gesehen werden. Nur durch die Prüfung gleich vollkommener oder doch solcher, deren Unterschied nicht bloß dem Grade nach gemessen werden kann, läßt sich die allgemeine Frage beantworten, wie die Verschiedenheit der Sprachen überhaupt im Verhältniss zur Bildung des Menschengeschlechts anzusehen ist? ob nur als ein zufälliger, das Leben der Nationen begleitender Umstand, der aber mit Geschicklichkeit und Glück benutzt werden kann, oder als ein nothwendiges, sonst durch nichts zu ersetzendes Mittel zur Bearbeitung des Ideengebiets? Denn zu diesem neigen sich alle Sprachen wie convergirende Strahlen, und ihr Verhältniß zu ihm, als ihrem gemeinschaftlichen Inhalt, ist daher der Endpunkt unserer Untersuchung. Kann dieser Inhalt von der Sprache unabhängig, oder ihr Ausdruck für ihn gleichgültig gemacht werden, oder sind beide dieß schon von selbst, so hat die Ausbildung und das Studium der Verschiedenheit der Sprachen nur eine bedingte und untergeordnete, im entgegengesetzten Fall aber eine unbedingte und entscheidende Wichtigkeit.

16. Am sichersten wird dieß beurtheilt an der Vergleichung des einfachen Worts mit dem einfachen Begriff. Das Wort macht zwar nicht die Sprache aus, aber es ist doch der bedeutendste Theil derselben, nämlich das was in der lebendigen Welt das Individuum. Es ist auch schlechterdings nicht gleichgültig, ob eine Sprache umschreibt, was eine andere durch Ein Wort ausdrückt; nicht bei grammatischen Formen, da diese bei der Umschreibung gegen den Begriff einer bloßen Form, nicht mehr als modificirte Ideen, sondern als die Modification angebende erscheinen; aber auch nicht in der Bezeichnung der Begriffe. Das Gesetz der Gliederung leidet nothwendig, wenn dasjenige was sich im Begriff als Einheit darstellt, nicht eben so im Ausdruck erscheint, und die ganze lebendige Wirklichkeit des Worts als Individuum, fällt für den Begriff weg, dem es an einem solchen Ausdrucke fehlt. Dem Verstandesact, welcher die Einheit des Begriffes hervorbringt, entspricht, als sinnliches Zeichen, die des