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so weit je Verbindung unter demselben gewesen ist; ihr Fortwirken und ihre Forterzeugung könnte nur dann einen Endpunkt finden, wenn alle jetzt lebende Geschlechter vertilgt und alle Fäden der Ueberlieferung auf einmal abgeschnitten würden. Indem nun die Nationen sich dieser, schon vor ihnen vorhandenen Sprachelemente bedienen, indem diese ihre Natur der Darstellung der Objecte beimischen, ist der Ausdruck nicht gleichgültig und der Begriff nicht von der Sprache unabhängig. Der durch die Sprache bedingte Mensch wirkt aber wieder auf sie zurück, und jede besondere ist daher das Resultat drei verschiedener zusammentreffender Wirkungen, der realen Natur der Objecte, insofern sie den Eindruck auf das Gemüth hervorbringt, der subjectiven der Nation und der eigenthümlichen der Sprache durch den fremden ihr beigemischten Grundstoff, und durch die Kraft, mit der alles einmal in sie Uebergegangene, wenn auch ursprünglich ganz frei geschaffen, nur in gewissen Grenzen der Analogie Fortbildung erlaubt.

20. Durch die gegenseitige Abhängigkeit des Gedankens und des Wortes von einander leuchtet es klar ein, daß die Sprachen nicht eigentlich Mittel sind, die schon erkannte Wahrheit darzustellen, sondern weit mehr, die vorher unerkannte zu entdecken. Ihre Verschiedenheit ist nicht eine von Schällen und Zeichen, sondern eine Verschiedenheit der Weltansichten selbst. Hierin ist der Grund und der letzte Zweck aller Sprachuntersuchung enthalten. Die Summe des Erkennbaren liegt, als das von dem menschlichen Geiste zu bearbeitende Feld, zwischen allen Sprachen und unabhängig von ihnen in der Mitte; der Mensch kann sich diesem rein objectiven Gebiet nicht anders, als nach seiner Erkennungs- und Empfindungsweise, also auf einem subjectiven Wege, nähern. Gerade da, wo die Forschung die höchsten und tiefsten Punkte berührt, findet sich der von jeder besonderen Eigenthümlichkeit am leichtesten zu trennende mechanische und logische Verstandesgebrauch am Ende seiner Wirksamkeit, und es tritt ein Verfahren der inneren Wahrnehmung und Schöpfung ein, von dem bloß so viel deutlich wird, daß die objective Wahrheit aus der ganzen Kraft der subjectiven Individualität hervorgeht. Dieß ist nur mit und durch Sprache möglich. Die Sprache aber ist, als ein Werk der Nation und der Vorzeit, für den Menschen etwas Fremdes; er ist dadurch auf der einen