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der Gegenstände, und nicht ganz Erzeugniß der Willkühr der Redenden ist, so tragen alle besonderen in jedem ihrer Elemente Spuren der ersteren dieser Eigenschaften, aber die jedesmalige Erkennbarkeit dieser Spuren beruht, ausser ihrer eigenen Deutlichkeit, auf der Stimmung des Gemüths, das Wort mehr als Abbild, oder als Zeichen nehmen zu wollen. Denn das Gemüth kann, vermöge der Kraft der Abstraction, zu dem letzteren gelangen, es kann aber auch, indem es alle Pforten seiner Empfänglichkeit öffnet, die volle Einwirkung des eigenthümlichen Stoffes der Sprache aufnehmen. Der Redende kann durch seine Behandlung zu dem einen und dem andern die Richtung geben, und der Gebrauch eines dichterischen, der Prosa fremden Ausdrucks hat oft keine andere Wirkung, als das Gemüth zu stimmen, ja nicht die Sprache als Zeichen anzusehen, sondern sich ihr in ihrer ganzen Eigenthümlichkeit hinzugeben. Will man diesen zwiefachen Gebrauch der Sprache in Gattungen einander gegenüberstellen, welche ihn schärfer trennen, als er es in der Wirklichkeit sein kann, so läßt sich der eine der wissenschaftliche, der andere der rednerische nennen. Der erstere ist zugleich der der Geschäfte, der letztere der des Lebens in seinen natürlichen Verhältnissen. Denn der freie Umgang löst die Bande, welche die Empfänglichkeit des Gemüths gefesselt halten könnten. Der wissenschaftliche Gebrauch, im hier angenommenen Sinne, ist nur auf die Wissenschaften der reinen Gedanken-Construction, und auf gewisse Theile und Behandlungsarten der Erfahrungswissenschaften anwendbar; bei jeder Erkenntniß, welche die ungetheilten Kräfte der Menschen fordert, tritt der rednerische ein. Von dieser Art der Erkenntniß aber fließt gerade auf alle übrigen erst Licht und Wärme über; nur auf ihr beruht das Fortschreiten in allgemeiner geistiger Bildung, und eine Nation, welche nicht den Mittelpunkt der ihrigen in Poesie, Philosophie und Geschichte, die dieser Erkenntniß angehören, sucht und findet, entbehrt bald der wohlthätigen Rückwirkung der Sprache, weil sie durch ihre eigene Schuld sie nicht mehr mit dem Stoffe nährt, der allein ihr Jugend und Kraft, Glanz und Schönheit erhalten kann. In diesem Gebiet ist der eigentliche Sitz der Beredsamkeit, wenn man nämlich darunter in der weitumfassendsten und nicht gerade gewöhnlichen Bedeutung, die Behandlung der Sprache insofern versteht, als sie entweder von selbst wesentlich auf die Darstellung der Objecte einwirkt, oder absichtlich dazu gebraucht wird.