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Illustrirte Zeitung, Nr. 1 vom 1. Juli 1843


Ich brauche Deinen Scharfsinn nicht erst zu bewundern, lesender Freund, denn er war mir längst bekannt, und ich habe seit dem Beginne dieses Märchens fest darauf gerechnet, ja, ich bin sogar nicht ohne Furcht, daß Du mitunter zu scharfsinnig sein werdest und Dinge herauslesen, an die ich gar nicht gedacht. Es ist dies einmal der Fehler der lesenden Welt, Publikum genannt, als deren Repräsentanten ich Dich verehre. Doch, um uns nicht zu erzürnen, denn wir haben doch noch eine hübsche Strecke mit einander zu durchwandern, will ich es lieber Neigung oder Leidenschaft nennen, einem armen Autor Dinge unterzulegen, die gar nicht in seinen Zeilen stehen und die ihm selbst am Wenigsten in den Sinn kamen, als er sie niederschrieb. – Allein um wieder auf jene Namen und Deine Frage zu kommen. – Allerdings; auch wirst Du Dich ihrer gewiß erinnern, denn Du hast ohne Zweifel Goethe’s, Petrarca’s, Dante’s, Schiller’s, Rousseau’s, Byron’s, Tasso’s, Swift’s, Sterne’s und anderer berühmter Dichter Schriften gelesen, und kennst daher die von ihnen gefeierten Frauen.

Du antwortest wie Molière’s Monsieur Jourdain: „Ja wol, aber thu’ als ob ich sie nicht kennte.“

Nun denn, da Du es befiehlst; nur nimm es nicht übel. Ich erlaube mir blos, sie Dir nochmals vorzustellen, unter der Voraussetzung, daß Du sie vielleicht mit anderen Augen angesehen, als ich, und daß wir durch diesen Tausch der Ideen Beide gewinnen müssen. Ich beginne demnach wie folgt, bemerke aber vorher noch, daß Du selbst Schuld bist, wenn ich zu sehr in den Lehrton verfalle, und bitte Dich, mich zu unterbrechen, sobald es anfängt, Dir Langeweile zu machen.

Gretchen war bekanntlich Goethe’s erste jugendliche Neigung; er noch ein halber Knabe, sie ein verständiges Mädchen, das an dem Sohne guter Eltern ein mehr schwesterliches oder halb mütterliches Wohlgefallen fand und ihn vor bösen Dingen zu bewahren suchte. Als er das später erfuhr, war es freilich mit der Neigung aus, aber er bat sie doch zu Gevatter bei der holdesten, echt weiblichen Tochter, die er mit der Muse zeugte, als er die Geschichte der Menschheit in seinem Faust dichterisch wieder erschuf.

Laura war Petrarca’s platonische Geliebte und muß eine höchst verständige Dame gewesen sein, denn sie ließ ihm auch nicht die mindeste Gunst zu Theil werden. Da er Alles in glänzenden Versen ausschwatzte und schilderte, was an ihr erreichbar war, was würde er da nicht erst verrathen haben, hätte sie ihn nicht so fern gehalten. Die Frau handelte also höchst vernünftig, vielleicht instinktmäßig, denn Petrarca gehörte eigentlich, trotz seinen schönen Versen, zu den kalten Naturen, und solche Naturen bringen es wol so weit, eine Frau zu beschreiben, aber nie so weit, sie zu beglücken.

Klärchen, lieber Leser, ist Dir aus Egmont vollkommen bekannt, und daß Beatrice Dante’s Geliebte war, bei deren erstem Anblick ein neues Leben in ihm begann und die ihn durch sein ganzes inneres Leben begleitete, weißt Du auch, und sollte es Dir entfallen sein, was fast unmöglich ist, wenn Du ein patriotischer Sachse bist, so lies, was ein großer deutscher Dichter, Uhland, von ihm gesungen hat, der sein herrliches Gedicht mit den Worten schließt:

Ja! mit Fug wird dieser Sänger
Als der Göttliche verehret,
Dante, welchem ird’sche Liebe
Sich zu himmlischer verkläret.

Von Lotten und Thekla Dir zu reden, wäre eine Beleidigung; denn einen Deutschen, der sie nicht kennt, gibt es wol nicht.

Heloïse war des egoistischen Abälard unglückliches Weib. Wie groß steht sie ihm gegenüber da: sie ganz Liebe, ganz Hingebung, ganz Gehorsam, bis an ihr Ende voll tiefer, sehnsüchtiger Glut, die selbst vor dem Altar des Herrn sie mit Flammen umgab; er kalt, berechnet, ohne Hingebung, immer ihr Erzieher – zum Guten wie zum Bösen –, nie wirklich sie aus innerster Seele liebend. Arme Heloïse! Mit welcher tiefen Wahrheit sagte sie in einem wirklich von ihr geschriebenen (nicht in dem von Pope, Colardeau und Bürger auf breite Weise nachgebildeten) Briefe von sich –; doch Lateinisch liegt es Dir wol zu fern, ich will es Dir also anführen, wie es ein sehr genauer und daher zu Zeiten von mir streng getadelter Bekannter treu, obwol auch in poetischer Form, übertrug:

Gott weiß es, du nur warst es, den ich suchte!
Nicht wollte meine Liebe sonst erfassen.
Ob, der mir Vater war, mich verfluchte,
Ich hätte nimmermehr von dir gelassen.

Nichts konnte meine Sehnsucht nach dir stillen,
Nicht Luft noch Glanz, vor dir mußt’ Alles schweigen.
Ich hatte weder Eigenthum noch Willen,
Denn was ich hatte, war dir Alles eigen.

Mich reizte nicht der Name Weib; nur lieben
Wollt’ ich dich, Einziger! vor dir mich beugen. –
Unwandelbar bin ich mir treu geblieben,
Deß ruf ich dich, o Abälard, zum Zeugen!

Du hast das in dem Briefe nicht vergessen
Und meiner Gründe viele dort berichtet,
Die selbst, nachdem du mich schon ganz besessen,
Dir zu entsagen, strenge mich verpflichtet.

Allein die stärksten hast du doch verschwiegen,
Die mich bewogen, dir mich hinzugeben:
Durch Liebe selbst die Ehre zu besiegen;
Und keinen Glanz zu fordern von dem Leben.

Gott ruf’ ich an, wenn mir vom Herrscherstuhle
Die Krone Cäsar legte selbst zu Füßen,
Sollte die Welt doch nur als deine Buhle
Und nimmer mich als Kaiserin begrüßen.

Neben dieser tief glühenden und doch so wahren und echten Heloïse kommt nun zwar die Luise, des Pfarrers Tochter zu Grünau, dieses Ideal aller sich nach dem Ehestande sehnenden Schulmeistertöchter und als Hauslehrer fungirenden Candidaten nicht auf; aber freilich gehört diese breite deutsche Häuslichkeit, deren Homer der Altmeister Voß war, einer Zeit an, wo die Mehrzahl der Deutschen das Beste that, was sie thun konnte, nämlich Schlafmützen zu tragen, Tabak aus langen weißen holländischen Pfeifen zu rauchen, für den Mond zu schwärmen und häuslich zu sein. Eine so leidenschaftlose Periode bringt keine Heloïsen hervor.

Ob Du die Fanny noch kennst, ist die Frage, theuerer Leser; es müßte denn sein, Du hättest in deinen Schülerjahren Dir einmal in den Kopf gesetzt, eine deutsche Ode machen zu wollen, und zwar im allerantiksten Versmaße, wodurch sie denn nichts weniger wurde als deutsch. Bei dieser Gelegenheit schlugst Du nun unseres großen Klopstock Werke auf, den jetzt die Franzosen studiren, unsere Jugend aber kaum dem Namen nach kennt, und da fandest Du, daß Fanny des Dichters erste oder eigentlich künftige Geliebte war, der er aber blos eine Anweisung auf seine Unsterblichkeit, anstatt auf ein Liebeleben der Gegenwart ausstellte, denn er beginnt die Ode an Sie bekanntlich mit den Worten: „Wenn ich einst todt bin.“ – So poetisch oder so klug warst Du indessen schon damals, daß es Dir nicht einfiel, Deiner Geliebten Herz rühren zu wollen mit Betrachtungen über Deinen und ihren Tod, in denen Du verlangt, daß sie jenseits den Wechsel, den Du auf ihre Neigung zogst, honorire, da sie ihn hienieden protestiren ließ, und Du wundertest Dich daher, daß ein so bedeutender Dichter so geschmacklos sein konnte, das zu erfinden, und ein ganzes großes Publikum noch geschmackloser, es für schön zu halten.

Aber wir kommen doch am Ende zu weit von Franz und seiner Braut ab; ich will es also Deinem Scharfsinn überlassen, Dir selbst ein Charakterbild von Rousseau’s neuer Heloïse und Romeo’s treuer Gattin, die Beide Julia hießen, von Lisbeth, der wahren Jungfrau im ganzen Heiligenscheine ihrer bewußten Unschuld, einem Wesen, das Immermann erst schuf, als ihn selbst im Mannesalter die tiefste Liebe erfaßt hatte; von Byron’s schöner, unglücklicher Türkin Thyrza, von Tasso’s Eleonore, von der ich übrigens nicht glaube, daß sie je eine Neigung für den Dichter des verlorenen Jerusalem empfunden; von Swift’s unglücklicher Stella und von Sterne’s affectirter Eliza zu machen und lieber mit Dir zu unserem Paare zurückkehren.

„Wir wissen aber noch nicht, wie sie heißt“ – bemerkst Du.

Was thut das? Indessen, wenn Du Nichts dagegen hast, so wollen wir sie Maria nennen. Das ist ein so hübscher Name, und Du findest fast keine Nation, die ihn nicht gefeiert hätte und irgend eine Heldin aufzeigen könnte, die so geheißen. Es ist eine alte Bemerkung, daß nicht jeder Name zu jedem Menschen paßt, und am Wenigsten zu jedem Mädchen, obwol die Verkehrtheit dieser Welt gar oft schon mit dem Namen beginnt, den die lieben Eltern dem neugeborenen Kindlein in der Taufe beilegen lassen. Denke Dir einmal eine Mathilde, die Wasser holt und die Stuben scheuert; eine Aurelie, die Putz macht, und eine Cäcilie, die Schuhe einfaßt, und doch sind dergleichen Exemplare so übermäßig selten eben nicht unter dem Monde.

Dagegen Maria, das ist ein Name, der paßt für Jede, möge sie auf einem Throne sitzen mit dem Scepter in der Hand, oder in einer Hütte mit der Spindel; sobald sie nur liebenswürdig und wahrhaft weiblich ist, steht ihr der Name gewiß gut, und alle Leute werden gern an sie denken, wenn sie ihn aussprechen, und ihn gern aussprechen, wenn sie an sie denken. Es liegt ein Zauber darin.

Wenn ich Dir nun sage, daß Maria einer jener zarten Blumen glich, mit der leider die deutschen Poeten so viel Unfug getrieben haben, einem Veilchen nämlich, und daß sie Franz liebte, wie Franz sie liebte, und daß sie ihn schon geliebt hatte, noch ehe sie wußte, was Liebe war, so bist Du gewiß damit zufrieden, daß wir sie Maria nennen.

Ich will Dir auch noch erzählen, daß wir uns mit Franz in das Haus der vortrefflichen Frau Forster, der Mutter Mariens, begeben haben, daß der Abend schon ziemlich vorgerückt und noch obendrein ein Winterabend ist, und daß Franz, nachdem er auf jede erdenkliche Weise sein Fortgehen verzögert, sich endlich doch genöthigt gesehen, aufzustehen und nochmals „Lebewohl, auf Wiedersehen Morgen“ seiner Braut, ihrer Mutter und dem Major Horn, dem alten Freunde der Familie, zu sagen.

Ferner will ich noch hinzufügen, daß, obwol Alles den besten Anschein hatte, doch Manches nicht so war, wie es hätte sein sollen. Franz that nämlich, als könne er seinen Hut nicht finden; es wurde ihm so schwer, zu scheiden; der Major reichte ihm Hut und Stock hin und sah ihn zugleich mit einem unruhigen und mistrauischen Blicke an. Die sonst so still heitere Maria aber schien traurig zu sein.

(Fortsetzung folgt.)


Modebericht.

Indem ich zum ersten Mal die Feder ergreife, um alle die wichtigen und nichtigen Dinge niederzuschreiben, die man mit dem einen Worte die Mode bezeichnet, bin ich in großer Verlegenheit über die Wahl des Standpunktes, von dem aus ich die Portraits auffassen soll, um bei einem neuen Publikum das Lob der Aehnlichkeit zu verdienen. Die Mode hat so viele Gesichter und einen so verschiedenen Ausdruck; sie hat so viele Bedürfnisse; es giebt einen einzigen Punkt, über welchen sie einig ist in der ganzen Welt: das ist die Wahrheit. Eine Frau vor allen Dingen hat nichts so sehr zu fürchten, als Irrthümer und Uebertreibungen; es ist ohne Frage minder anstößig, hinter der Mode zurückzubleiben, als sie zu überbieten.

Mir ist wenigstens eine kleine Frau mit einem Hute vom vorigen Jahr bei Weitem lieber, als Eine mit einem von den Hüten, die selbst im nächsten Jahr noch nicht Mode sein werden. Die Hüte fielen auf den Nacken; man hat sie dann auf den Kopf gesetzt, und nur einige Frauen von schlechtem Geschmack, welche blos den Effect im Auge haben, haben sie so in das Gesicht gerückt, daß sie die Augen bedecken, und das nennen diese Frauen die höchste Eleganz. Wie verfehlt! denn nichts, was die Blicke der Vorübergehenden durch seine Fremdartigkeit auf sich zieht, nichts, was von dem Gewöhnlichen abweicht – außer durch

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: Illustrirte Zeitung, Nr. 1 vom 1. Juli 1843. J. J. Weber, Leipzig 1843, Seite 15. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Illustrirte_Zeitung_1843_01.pdf/15&oldid=- (Version vom 15.8.2018)