Seite:Illustrirte Zeitung 1843 05.pdf/14

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Illustrirte Zeitung, Nr. 5 vom 29. Juli 1843

Madame Mélingue in der Rolle der Guanhumara.

Woher dort der entsetzliche Schatten, welcher vor dieser verhängnißvollen Burg, wo die Orgie tost, vorbei und wiedervorbeischleicht? Ist das ein Weib? Ist’s ein Phantom? Gehört dieses Wesen der Erde an? Ist es aus dem schwarzdunkeln Abgrunde entschlüpft? Furchtbar und zurückstoßend ist das Ansehen dieses gespenstischen Wesens; Runzeln und Falten furchen sein Antlitz, und der Blick seines Auges spricht von langen Leiden und von unversöhnlichen, lange genährten Racheempfindungen. Was ist das für ein Geschöpf? Welches ungeheuere Verbrechen hat es zu sühnen, zu bestrafen? Ein ärmliches Büßergewand umgiebt seine Gestalt; ein Halseisen engt ihm den Hals ein, eine lange Sklavenkette dient ihm als Gürtel, einen eisernen Ring schleppt es mit sich am Fuße.

Dieses umheimliche Geschöpf ist – kaum sollte man’s glauben – ein Weib! Es ist Guanhumara, deren Name seinem Klange nach eher an ein mexikanisches, als an ein europäisches Idiom erinnert! Hier, sagt sie, indem sie bald da bald dorthin einen finstern Blick wirft, die Schwelgerei, dort das Elend und der Hunger! Der Tyrann auf der einen, der Sklave auf der andern Seite! Ja, jubelt nur, ihr Burggrafen, ihr habt nur ein Weib zum Feinde:

Doch zittert, Fürsten ihr! dies Weib, es ist der Haß!

Fragt ihr nun einen der gefesselten Sklaven, welche auf dem Hofe umherwanken, wer dieses garstige Weib sei, so wird er, sich bekreuzend, antworten: Eine Tochter Beelzebub’s, eine Verurtheilte, eine Hexe! – Guanhumara besitzt in der That eine übermenschliche Kenntniß! Sie versteht gräuliches Gift zu bereiten, welches einen plötzlichen Schlaf hervorbringt, sie besitzt das Geheimniß wunderbarer Getränke, welche das Opfer in’s Grab stürzen, sie hält in ihrer Hand Leben und Tod.

Es befindet sich in der Burg Heppenhef ein junger Ritter, Namens Otbert, der vor einem Jahre dahin kam, um Dienste zu nehmen, aber anstatt in den Krieg zu ziehen, bildet er sich nach dem Muster des Herrn und liebt Regina, eine junge lehnsherrliche Gräfin, nach der sich Hatto gelüsten läßt, nicht ihrer Jugend und Schönheit, sondern der herrlichen und zahlreichen Lehne wegen, womit ihre Grafenkrone geschmückt ist. So ist nun Otbert der Nebenbuhler des elenden und grausamen Hatto, und zwar im Geheimen, ohne daß Hatto darum weiß. Aber wehe! Regina lieben, heißt die Blume lieben, welche im Welken, den herrlichen Tag, welcher im Scheiden, die süße Melodie, welche im Verklingen ist. Regina leidet an einer tödtlichen Krankheit, jeder Tag raubt ihrer Jugend eine Rose, jede Stunde drängt sie dem Tode entgegen; sie wankt schwachen Schrittes, auf Otbert’s Arm gestützt, und wirft durch die vergitterten Fenster einen langen schwermüthigen Blick auf den azurfarbenen Himmel, auf die herbstlich gelben Weinreben; die Blätter fallen, sagt sie, aber sie werden wieder grünen, die Schwalben ziehen fort, aber der Frühling wird sie wieder zurückbringen:

Doch ich, nie seh’ ich mehr
Des Blattes Frühlingsgrün, des Vogels Wiederkehr!

Wer wird Regina retten? wer ihr die Gesundheit und das Leben wiedergeben? wie kann man den Stengel dieser hinschmachtenden und siechen Blume wieder aufrichten? Otbert wendet sich an die Allmacht der Guanhumara; er fleht sie an, er beschwört sie. Scheint sie doch in sein Geschick verflochten zu sein! Sie hat ihn als Kind auf ihren Armen getragen, sie weiß um das Geheimniß seiner Geburt; aber wenn er ihr den Namen seines Vaters und seiner Mutter abfragen will, steht Guanhumara bleich, stumm und unbeweglich vor ihm.

Wohl will sie Regina retten vermittelst eines jener mächtigen Säfte, welche sie aus Asien verschrieben hat; aber Guanhumara giebt Nichts für Nichts; für dies Geschenk des Lebens will sie Tod wiedergeschenkt; ja, Otbert soll, auf ein Zeichen der Guanhumara, Mörder werden; er wird Jemand würgen, wie der Henker würgt; und an dem Tage, zu der Stunde wird er diesen Jemand würgen, wann Guanhumara ihm befehlen wird, er soll zuschlagen.

Kennt ihr das Opfer, welches unter Otbert’s Dolche fallen soll? Suchet unter diesen Burggrafen! Ist’ Magnus, ist’s Hatto, ist es Hatto’s Sohn, der noch schlimmer ist als sein Vater? Weder der Großvater, noch der Sohn, noch der Enkel. Lauscht auf die Knechte, welche ein blutiges Abenteuer erzählen, das sich im Schlosse Heppenhef ereignet hat; man thut gut, auf die Diener zu hören, denn sie plaudern die Geheimnisse ihrer Herren aus.

Es war vor langer Zeit. Der alte Hiob hieß damals Fosco und hauste auf einer der furchtbaren Burgen des Rheins. Fosco und Donato – wer zweifelt, daß dies nicht deutsche Namen sind? – liebten zu gleicher Zeit dasselbe Weib. Donato wurde vorgezogen:

In einem Grabgemach, des Eingang unbekannt,
Das Liebespaar geheim sich bei einander fand.
Dort war’s, wo Fosco, rasch zur That und zornbethört,
Sie traf und das Idyll in Tragödie verkehrt.

Hirten fanden eines Tags in dem Gießbache, welcher den Fuß des Thurmes umrauschte, zwei von Dolchstichen durchbohrte Leichen; es war Donato mit seinem Schildknappen. Fosco war mit diesem doppelten Verbrechen nicht zufrieden, nach dem Morde that er der Jungfrau Gewalt an und sie gebar ein Kind, die traurige Frucht dieser Bubenthat. Die Geschichte ist aber noch viel schrecklicher; Donato war der Bruder des Fosco! Es ist dies eine Erinnerung aus Schiller’s „feindlichen Brüdern“ oder Klinger’s „Zwillingen“.

Seitdem nahm Fosco den Namen Hiob an, Hiob der Verfluchte. Die Jahre haben sich über seinem Haupte gehäuft, und mit den Jahren die Gewissensbisse; aber diese Gewissensbisse des greisen Hiob genügen Guanhumara nicht. Zweifelt man noch, daß Guanhumara das Mädchen war, welches von Donato geliebt wurde? Sie hat ihre Ehre und den Tod ihres Geliebten zu rächen – eine schreckliche Rache, welche sie seit funfzig Jahren in den Tiefen ihrer Seele nährt und hütet; eine solche Rache müßte doch endlich des Hoffens und Harrens müde werden.

Guanhumara ist nicht das Weib, welches sich mit gewöhnlichen Mitteln begnügt; sie ist raffinirter! Sie bewaffnet Otbert gegen Hiob, Otbert, diesen Sohn, welcher ein Sproß der Gewaltthat Fosco’s ist. Wirklich, diese Burg Heppenhef ist ein wüstes, verfluchtes Schloß, wo Bruder- u. Vatermord ihre Wohnung aufgeschlagen haben.

Nichtsdestoweniger setzt Hatto sein Sündenleben fort. Den Becher in der Hand schwelgt er und stimmt lustige Lieder an. Ihm zur Seite berauscht sich auch sein Sohn mit ihm: Was, Conrad, Du bist erst sechzehn Jahre alt? O Du hoffnungsvoller junger Mensch! – Und Dein Vater, Dein Großvater, wie steht’s mit denen? fragt Einer den Hatto. – Wahrhaftig, ich weiß nichts von ihnen; alte Narren sind’s; ich verdrängte sie und bediene mich meines Rechts! –

Nun überläßt sich diese Rotte übermüthiger, trunkener und schamloser Burggrafen allen Tollheiten der wildesten Entsittlichung; sie verspotten die Liebe und die Ehre, das Gewissen und den Eid. Aber eine schreckliche und zürnende Stimme läßt sich plötzlich vernehmen, es ist die Stimme des Magnus, welchen das Tosen dieses Gelags aus seinem einsamen Thurme hervorgelockt hat. Was ist das? ruft er aus:

– – Ihr jungen Leute lärmt!
Gewährt dem Alter doch, daß es sich träumend bärmt!
Der Glanz des Festmahls macht der Greise Augen schwächer;
Einst stieß man Schwert an Schwert – Anstoßet Ihr die Becher!

Ligier in der Rolle des Friedrich Barbarossa, als Bettler.

Mit wüstem Lachen, mit höhnischem Spotte wird die Anrede des Magnus beantwortet. Sein Loos ist das der Greise, deren weise Worte an der Frivolität und dem Gespött der Jugend zu Schanden werden. Bald bietet sich für die praktische Anwendung der brutalen Philosophie dieser Burgherren eine Gelegenheit dar. Ein mit Lumpen bedeckter Greis, so alt wie Hiob, klopft an das Thor; er begehrt gastfreundlicher Aufnahme; mit Steinwürfen, schreit Hatto, solle man diesen Narren hinausweisen. Da ergreift Hiob selbst das Wort, er äußert, wie es zu seiner Zeit ganz anders gewesen sei; wenn sie da geschmaust hätten, sitzend um einen auf einer goldenen Schüssel dargebotenen ganzen Ochsen, und es sei ein zerlumpter Bettler gekommen, da hätten sich die Freiherren sogleich erhoben, da hätten sich die Fürsten, selbst die des heiligen römischen Reichs, verneigt und die Alten hätten ihre Hände dem Unbekannten entgegengestreckt und gerufen: Herr, seid willkommen! Man soll den Fremden eintreten lassen! fügt er hinzu – Wer murrt noch? – Man schweige! Und Alle schaudern, als er sein Haupthaar schüttelt, bei dem mächtigen Schall seiner Worte. – Ehre dem Bettler! Ehre unserm Gaste! heißt es. Und dieser Bettler ist bestimmt, die auf dieser Burg grassirenden Geheimnisse zu vermehren.

Der Bettler ist eben nicht anmuthig in seiner Erscheinung; auf seinen Schultern wallt ein zerlumpter Mantel, welcher auch sein Haupt und seine runzelvolle Stirn bedeckt; tief und hohl sind seine Augen; ein dichter, vom Alter weißgefärbter Bart fließt in langen Silberlocken auf seine Brust herab; er stützt sich auf einen großen Knotenstock, wie ein irrender Pilger nach vollendeter Bußfahrt. An den Füßen trägt er bestäubte Sandalen und um die Hüften einen

Empfohlene Zitierweise:
: Illustrirte Zeitung, Nr. 5 vom 29. Juli 1843. J. J. Weber, Leipzig 1843, Seite 78. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Illustrirte_Zeitung_1843_05.pdf/14&oldid=- (Version vom 7.6.2018)