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Illustrirte Zeitung, Nr. 5 vom 29. Juli 1843


Strick, von welchem ein Rosenkranz herabhängt. Indeß zeugt dies Alter von Macht und Kraft und unter diesen Lumpen verbirgt sich etwas unerklärlich Großes.

Doch wer ist dieser Mann? Hört nur, wie er über das Elend Deutschlands seufzt; wie er über den Verfall und die Schwäche dieses großen herabgekommenen Reiches klagt, wie er die Wunden des gemeinsamen Vaterlandes aufdeckt, welches die Beute von Lungerern und Strauchdieben ist! Ist das die Sprache eines Bettlers? eines armen Herumschlenderers, der auf Steinen schläft, an der Quelle seinen Durst stillt und sich Nationen und Fürsten wenig kümmern läßt? Nur Geduld! bald werden wir diesen Alten erkennen; aber noch ist die Zeit dazu nicht da; er muß sich erst auf der Bank von Stein niederlassen und im warmen Strahle der Sonne seine zweiundneunzig Jahre erquicken; denn zweiundneunzig Jahre, nicht mehr, nicht weniger ist er alt, dieser räthselhafte Unbekannte.

Inzwischen ist Regina wieder aufgeblüht. Guanhumara’s allmächtiges Elixir hat, Tropfen für Tropfen, der hinschwindenden Regina Leben und Lebenslust wieder eingetröpfelt. Aber Guanhumara fordert ihren Lohn, und worin er besteht, daß wißt Ihr. Guanhumara will durch einen Meuchelmord wieder bezahlt sein. „Ich habe mein Versprechen gehalten!“ – „Auch ich werde das meinige halten“, erwiedert Otbert. – „Wohl! ich erwarte Dich diesen Abend!“ – „Wann?“ – „Um Mitternacht!“ – „Ich werde dort sein.“ – „Du wirst dort Jemand finden.“ – „Sein Name?“ – „Fosco!“ – „Wer ist dieser Fosco?“ – „Diesen Abend sollst Du’s erfahren.“

Diese wüthende Guanhumara wird durch nichts mehr gerührt, ja, ihr Haß, ihre Wuth steigern sich noch, als sie bemerkt, daß der alte Hiob über Regina’s Wiederaufleben seine Freude äußert. Wie, denkt sie, er soll noch glücklich sein? er soll noch Freude empfinden? Hiob thut inzwischen zärtlich mit Regina und plaudert mit ihr von Otbert; er liebt diesen, ein geheimer Instinkt, eine unerklärliche Zärtlichkeit ziehen ihn zu Otbert. „Sieh, meine Regina,“ dies sind seine Worte: „diese edle Gestalt erinnert mich an mein letztgeborenes Kind; als Gott es mir gab, meinte ich, er habe mir verziehen; zwanzig Jahre sind’s bald! – Ein Sohn für mein Alter, welch ein Geschenk des Himmels! – Ohne Aufhören ging ich zu seiner Wiege; selbst wenn er schlief, plauderte ich wohl mit ihm; denn wenn man sehr alt ist, wird man auch sehr kindisch. Abends wiegte ich auf meinen Knieen sein blondes Haupt. Ich spreche mit Dir von einer Zeit – Du warst noch nicht auf der Welt – – – – Ein Jahr hatte er noch nicht, aber Geist; er kannte mich wohl! – Ich hatte ihn Georg genannt – Einst, bitterer Gedanke! spielte er im Felde – Ach, wenn Du Mutter sein wirst, laß Deine Kinder nicht zu entfernt von Dir spielen! – Man raubte ihn mir!“

Hiob ist, wie man sieht, obgleich etwas brudermörderisch, doch eine gute Haut. Ja, er ist sogar so human, die Entführung Regina’s durch Otbert zu begünstigen. Wäre er Herr zu Heppenhef, so würde er sie verheirathen; aber was würde der wilde Hatto dazu sagen? Unsere jungen Liebesleute haben kein anderes Mittel, Hatto’s Zorne zu entgehen, als die Flucht. „Mein Thurm,“ sagt Hiob, „hat eine Verbindung mit dem Schloßgraben; die Schlüssel dazu sind in meinem Besitz.“ Und in der That, Hiob will selbst die Schlüssel holen. Wahrlich viel für einen hundertjährigen Alten!

Unglücklicherweise hat Guanhumara dies Gespräch gehört und Hatto davon benachrichtigt. Dieser kommt wüthend herbeigestürzt. Otbert fordert ihn heraus. „Du bist ein bloßer Abenteurer!“ schreit Hatto, „rufe einen Edelmann zur Unterstützung und ich werde mich mit Dir schlagen!“ Da ertönt eine furchtbare Stimme: „Ich bin zweiundneunzig Jahre, ich, ich werde mich Dir stellen!“ Es ist der Bettler, der sich durch die Menge drängt. – Wer bist Du? – Friedrich von Schwaben, der Kaiser Deutschlands! – Er hat sich, unbekümmert um die Gesammtinteressen des Reichs, als Bettler in die Räuberhöhle der Burggrafen geschlichen, um sie zur Rechenschaft zu ziehen und zu strafen. Hatto und seine Kumpane bieten Trotz; was gilt ihnen ein Kaiser? Und wie wird es diesem Kaiser ergehen? – Es soll nicht sein! schreit da Hiob, es soll nicht sein! Hiob hat noch als Zögling der alten Schule Respect vor dem Kaiser. Er fällt ihm zu Füßen und nöthigt seinen Sohn und die Bewaffneten, dasselbe zu thun. Barbarossa aber wendet sich zu Hiob und sagt ihm feierlich: Fosco! – Himmel! – Kein Geräusch! – Erwarte mich Abends da, wohin Du Dich jede Nacht begiebst.

Wir haben nun die beiden ersten Abtheilungen dieser Trilogie: „L’aïeul“ und „Le mendiant“ skizziert, es bleibt uns noch die dritte „Le caveau perdu“ übrig.

Dieser unterirdische Ort ist furchtbar und düster, nur ungewiß und zweifelhaft erhellt durch einen Schimmer, welcher durch zum Theil zertrümmerte eiserne Gitter fällt. Hier ist der Brudermord begangen worden, durch diese Oeffnung hat Fosco oder Hiob den von ihm gemordeten Donato und dessen Schildknappen hinabgestürzt; hier ist Guanhumara von ihm entehrt worden, und Mord, Brudermord, Entehrung irren als gespenstige Erinnerungen in diesem schrecklichen Gewölbe umher.

Hiob steigt herab, und der Anblick dieses traurigen Schauplatzes erweckt in ihm das Andenken an sein Verbrechen. Eine Stimme ertönt: „Kain! Kain! Kain! was hast du mit deinem Bruder gethan?“ – Hiob zittert, schaut umher und erblickt Guanhumara. Sie entdeckt sich, und Hiob erkennt in ihr jene Ginevra wieder, die er entehrt hat, die Verlobte des von ihm ermordeten Donato. Die Zeit der Strafe ist nun da, aber Hiob – Fosco soll grausam büßen; er soll im nächsten Augenblicke sterben, am Orte, wo er Donato getödtet, sterben durch die Hand seines eigenen Sohnes; denn dieser Sohn, sagt Guanhumara zu ihm, lebt noch, ich war es, die ihn dir raubte. – Ich will ihn sehen! ruft Hiob. – Ja, antwortet sie:

– – – – – ihn sehen werdet Ihr!
Er ist’s, von dessen Dolch Ihr fallen sollt allhier –
Der Otbert ist’s!

Hiob glaubt an eine solche Grausamkeit nicht; nein, Otbert kann, wird ihn nicht tödten! – Er wird es thun, antwortet sie; ich habe dafür meine Bürgschaft; schont er Dein, so stirbt Regina, bereits ist ihr Sarg bereitet; sieh’ selbst! – Und wirklich, einige Verlarvte bringen den Sarg herbei und öffnen ihn – da liegt Regina, eingeschlafen; ein Trank, von Guanhumara bereitet, hat diesen dem Tode benachbarten Schlummer bewirkt. Bleibt Hiob am Leben, so wird sie die Dosis verdoppeln, und es wird um Regina geschehen sein. Wohl denn! Hiob wird sich dem Tode bieten.

Otbert erscheint, Guanhumara hält sich verborgen; Otbert bebt vor Hiob’s ehrwürdigem Ansehen zurück, wie etwa jener Cimber, welcher aufschrie: Nein, ich kann den Cajus Marius nicht tödten! – Ein seltsamer Streit erhebt sich nun zwischen Beiden, Otbert schwankt zuzustoßen und der Alte fordert es. – Tödte mich, ich habe meinen Bruder getödtet! ruft er. Otbert ist nun entschlossen; aber deus ex machina! ein Greis erscheint und fällt Otbert in den erhobenen Arm. – Dieser Bruder, welchen Hiob unter schrecklichen Gewissensbissen beweint, lebt – ich bin es, ruft der Greis. Wer ist es? drollig genug: Kaiser Barbarossa selbst, einst im Schlosse Heppenhef unter dem Namen Donato bekannt. Hiob-Fosco ist der Bastardsohn des frühern Kaisers, dessen legitimer Sohn Friedrich Barbarossa ist. Guanhumara hat nun keinen Grund zur Strafe mehr, denn Donato oder Friedrich Barbarossa hat seinem Bruder verziehen. Aber Jemand muß doch sterben, der Sarg ist einmal da, warum sollte er leer ausgehen? Guanhumara wird ihn füllen; gebt Acht! In der That, sie stößt einen Schrei aus, wirft noch einen letzten Blick auf ihren früheren Geliebten Donato, jetzt Barbarossa, und verscheidet.

Der Ton, in welchem wir unsere ziemlich ausführliche Analyse gehalten haben, beweist, wie viel komisches Element in Victor Hugo’s Tragik liegt, oder wie verführerisch sich die Versuchung aufdringt, dieses so furchtbar ernste Drama in das Komische herabzuziehen. Wie willkürlich der Dichter mit der Localität und der Zeit umgesprungen ist, liegt auf der Hand! Es ist im hohen Grade possierlich, wenn er Friedrich Barbarossa, der 70 Jahre alt im Morgenlande umkam, noch in seinem zwei und neunzigsten auf dem Schlosse Heppenhef – der Schutzgeist der deutschen Sprache verzeihe dem Dichter diesen für deutsche Ohren ganz unromantischen, höchst lustigen Namen – mit einer alten Geliebten zusammenbringt! Und der hundertjährige Hiob hat noch einen Sohn, welcher erst etwas über zwanzig Jahre alt ist – welch ein vorweltliches Geschlecht muß dem Verfasser vor Augen geschwebt haben! Alle nur immer denkbaren Unwahrscheinlichkeiten und Ungeheuerlichkeiten sind hier über und unter einander gehäuft; dabei wenig Fortschritt in der Handlung, desto mehr Erzählung und Schilderung! In den Schilderungen zeigt sich indeß auch hier, wie ein rascher, greller, aber wirkungsreicher Blitz, nicht selten das poetische Genie Victor Hugo’s; die Verse haben einen vollen Klang, etwas Pomphaftes; die Poesie des Wortes waltet überall vor. Aber gerade diese Poesie des Wortes verlangt der Besucher des Theaters am wenigsten; er begehrt die Poesie der Handlung, und ist er auch fähig, mehr als er sollte, sich an Unwahrscheinlichkeiten zu erbauen, so will er sie doch nicht in so grober Fülle, noch in so langweilig dichter Masse, wie sie hier aufgespeichert sind. Für die Blätter, welche vom Witze leben, ist dies neue Stück von Victor Hugo eine ergiebige Fundgrube. So bemerkt der Charivari, es sei Schade, daß sich der Komet nicht gleich am Tage der ersten Aufführung dieses Stücks habe erblicken lassen; doch sei es möglich, daß die Burggrafen diesmal wider Berechnung des Kometen diesem etwas zuvorgekommen wären.

Was die Costüme und die äußere Ausstattung betrifft, so bilden diese in dem Stück die Hauptschönheiten; die Panzer und Sturmhauben klingen darin mit den Versen des Dichters um die Wette. Die Darsteller gaben sich die möglichste Mühe, und namentlich verstand es Madame Mélingue, die Rolle der an sich ganz unwahrscheinlichen, ja unmöglichen Guanhumara vortheilhaft hervorzuheben.

4.

Literarische Anzeigen.

Interessante Neuigkeit
für die deutsche Jugend.

In meinem Verlage ist so eben complet erschienen und durch alle Buchhandlungen zu beziehen:

Sigismund Rüstig,
der Bremer Steuermann.

Ein neuer Robinson
nach Capitain Marryat
frei für die deutsche Jugend bearbeitet und mit 94 schönen Holzschnitten geziert.
2 Bände.
In engl. Leinwand elegant gebunden,
Preis 3 Thlr.

Das Publicum ist oft getäuscht worden mit Ankündigung eines neuen Robinson. Hier wird ein Seitenstück des mit Recht berühmten Buches geboten, welches dem alten Robinson näher kommt, als irgend eins. Die Begebenheiten sind interessant und mannigfaltig, und in der Belehrung, welche beiläufig dem Leser zu Theil wird, übertrifft „Rüstig“ alle Vorgänger, denn Marryat, nach welchem er bearbeitet ist, hat die halbe Welt selbst gesehen und hat sie genau gesehen.

Die äußere Ausstattung dieses Werkes ist vortrefflich und dem innern hohen Werth des Buchs ganz entsprechend.

Leipzig, im Juli 1843

B. G. Teubner.

Alle Buchhandlungen, Postämter und Zeitungs-Expeditionen nehmen Bestellung an auf die seit dem 1. Juli zu Braunschweig erscheinende

Eisenbahn-Zeitung.
Herausgegeben von Roberts und Meyer.
Wöchentlich eine Nummer in dreispaltigem Imperial-Quart. Mit erläuternden Zeichnungen, Karten, Plänen und Ansichten.
Preis pro Halbjahr 3 Thaler Pr. Cour.

Da dies unter Mitwirkung der Directionen deutscher und ausländischer Eisenbahnen und befähigter Techniker erscheinende Blatt übrigens nicht blos für Männer von Fach, sondern auch auf das gesammte, sich für das Eisenbahnwesen interessirende Publicum berechnet ist, so dürfte in Lesemuseen, Gasthäusern und derartigen öffentlichen Localen wohl häufige Frage nach demselben entstehen und die Zeitung auch diesen zur Anschaffung sich empfehlen.


Empfohlene Zitierweise:
: Illustrirte Zeitung, Nr. 5 vom 29. Juli 1843. J. J. Weber, Leipzig 1843, Seite 79. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Illustrirte_Zeitung_1843_05.pdf/15&oldid=- (Version vom 7.6.2018)