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durchmaß. Sie war eine schlanke Matrone, ein leidender Zug umspielte ihr von ergrautem Haar umrahmtes, einst offenbar schönes Gesicht, und als sie zufällig bei ihrer Wanderung durchs Zimmer einen Blick in den Spiegel warf, erschrak sie selbst vor den tiefen Schatten, mit denen die Nachtwachen, Aufregungen und Schrecknisse der letzten Tage ihr Gesicht entstellt hatten. — Eine Kette schwerer Gedanken schleppte sie mit sich: Ihr blieb wirklich kein Unheil erspart. Nun noch dieser grausige Krieg, und sie so allein, fast noch verlassener, als die, die überhaupt keine Angehörigen besaßen! Gerade in solcher schweren Zeit sehnt sich das Herz der Frau nach dem Schutz des Mannes, aber zwischen ihrem Herzen und dem ihres Mannes lag ja ein Eisfeld von Erbitterung und Herzeleid. Oh, diese ihre Ehe! Wie glücklich war sie einst gewesen, wie glücklos geworden. War es ihre Schuld? Vielleicht hätte sie sich versöhnlicher zeigen können, als sie einst dahinterkam, daß ihr alter Mathieu geheime Katerstege schlich. Oh, sie hätte ihm vergeben, wenn diese plötzlich aufgetauchte Freundin aus Mathieus Junggesellenzeit wenigstens noch einige Vorzüge gehabt hätte; sie wußte ja, daß ihr Mann zur Rolle des biblischen Josef nicht taugte, aber daß er nun seine Mannesehre an eine alte Ex-Schönheit verschleuderte, das ging ihr zu nahe, eben weil sie ihren Mann von Herzen liebte. Seitdem hatte sie ihre Gefühle zu versteinern gesucht, sie wollte ihrem Mann beweisen, daß sie auch ohne seine Liebe leben könne. Nun kam der Krieg, und sie hatte niemand, bei dem sie Halt suchen konnte in dieser alles umwälzenden Zeit. Allerdings blieb ihr noch ihre Tochter Helene, das einzige Kind, nachdem der Todesengel ihr zwei herzige Buben einst entführt. Oh, wäre sie doch bei ihnen droben! Was konnte ihr die Tochter sein? Zwar war sie schon Braut, aber doch noch ein flatterhaftes, oberflächliches Kind, und sie selbst war stets bestrebt gewesen, vor ihr den ehelichen Unfrieden zu verhüllen. Nein, sie stand ganz allein dem fürchterlichen, hartnäckigen Spuk, dem Krieg, gegenüber. Ehe, Heim, Liebe waren ihr geraubt.

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Aurel von Jüchen: Frauenleben im Weltkriege. Xenien-Verlag, Leipzig 1915, Seite 21. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:J%C3%BCchenFrauenlebenImWeltkriege.pdf/23&oldid=- (Version vom 1.8.2018)