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soll das Bild?“ frug er mit matter Stimme. „Ein Bild?“ Niemand hatte mehr daran gedacht, jetzt richteten sich aller Augen auf die düstere Frauengestalt mit der Unterschrift: „Souviens toi!“ Herrn Franks Gesicht überzog Purpurröte, doch seine Frau kam ihm schnell zu Hilfe: „Ach“, lachte sie, „mein Mann hat mich früher mal damit necken wollen, daß er die alte Scharteke hier aufhing. Er behauptet, die Frauengestalt habe Ähnlichkeit mit mir.“ „In der Tat“, sagte der Arzt, an das Bild herantretend, „eine äußere Ähnlichkeit ist vorhanden, aber das Gesicht hat einen Ausdruck leidenschaftlicher Grausamkeit, der Ihnen ebenso fremd ist, wie der Gedanke der Rache und des Deutschenhasses, den das Bild verkörpert.“ „Gewiß“, erwiderte Frau Frank, „das alles liegt mir fern. Wenn’s nach mir ginge, gäbe es überhaupt keinen Krieg. Dennoch möchte ich heute sagen: Souviens toi! Verrat, Lüge, Haß haben das Blutbad der vorigen Nacht angerichtet, und die Erinnerung daran sollte uns mahnen, daß Treue, Gesetzesfurcht und Ehrfurcht vor dem Menschenleben keine Dinge sind, mit denen man sein Spiel treibt.“ „Sie haben recht“, sagte der Arzt, „der Fanatismus unserer Französlinge hat damit ein frevles Spiel getrieben, so lange wir leben, werden wir dieses Souvenir nicht verlieren.“ Der Kranke schlief, und die übrigen geleiteten den Arzt hinaus, der, wie er sagte, heute noch viel zu tun hatte. Dann ging Frau Frank mit Helene in den Garten. Die letzten Sonnenstrahlen küßten noch die Rosen, eine Nachtigall sang aus dem Gebüsch. Es war Helene, als müßte sie ihre Brust öffnen, ein „Gott sei Dank!“ entstieg ihrem Herzen, wie ein loderndes Dankopfer. „Hast du denn Richard wahrhaft lieb?“ frug die Mutter. „Seit heute ist es mir Gewißheit und fester Wille geworden“, war die Antwort. „Oh, welche Angst bekam ich heute morgen, zumal mein Gewissen nicht ganz rein war. Gestern im Keller“, fügte sie errötend leise hinzu, „war ich ihm nicht ganz treu gewesen.“

Empfohlene Zitierweise:
Aurel von Jüchen: Frauenleben im Weltkriege. Xenien-Verlag, Leipzig 1915, Seite 40. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:J%C3%BCchenFrauenlebenImWeltkriege.pdf/42&oldid=- (Version vom 1.8.2018)