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Fragebogen und plauderte noch einige Worte über den Krieg, die allgemeine Tagesfrage, die alle Unterschiede für den Augenblick überbrückte. Die erste Arbeiterfrau, die sie besuchte, war eine rauhe Kriegermutter ohne Angst und Zagen. „Pah, so ein Krieg“, rief die Alte übermütig, „das soll auch was sein. Wir werden sie schon verdreschen. Am liebsten“, sie streifte ihr Kleid vom Ärmel zurück, „zög ich selbst noch 'ne Hose an und klopfte mit drauf.“ Frau Wilhelmi erwähnte, daß ihr Sohn bei der Flotte sei. „Ha“, rief die Alte, „den jungen Herrn kenne ich, der ist wie Blücher, der haut drauf.“ Frau Wilhelmi lächelte geschmeichelt, ging zur nächsten Tür und dann weiter von Haus zu Haus. Sie vergaß ihre Abneigung vor Schmutz und Dunst, vor den bleichen Gesichtsfarben und trüben Augen, denn es fesselte sie, die vielerlei Trostgründe der Frauen zu hören. Die eine fand Trost im Beten, die andere darin, daß der Krieg für Deutschland eine unumgängliche Selbsterhaltungspflicht war, diese war überzeugt, daß ein bestimmter Heiliger ihre Angehörigen beschützen würde, jene rechnete schon mit deren Tod und fand es, auch ohne Horaz gelesen zu haben, süß und ehrenvoll, für das Vaterland zu sterben; die meisten huldigten dem Fatalismus: „Wenn es bestimmt ist, daß er sterben soll, würde er auch hier sterben, denn auch im Bergwerk steht der Mann jederzeit mit einem Fuß im Grab.“ Fast alle schlossen ihre Betrachtungen mit den Worten: „Wenn nur Deutschland siegt!“ Die Frau Direktor war von solcher Vaterlandsliebe verblüfft, sie zeigte sich auch insofern als Fürstin, als sie recht oft ihr Täschchen öffnete und kleine Geldscheine austeilte, die mit größtem Dank angenommen wurden, sie war recht zufrieden mit sich selbst und allen anderen, als sie gegen fünf Uhr die Treppe einer häßlichen Mietskaserne außerhalb der Kolonie emporstieg, zu Frau Roth, deren Name als letzter in ihrer Liste stand; zur „roten Hanne“, dachte sie lächelnd. Auf dem ersten Treppenabsatz sah sie die Tür mit dem Schildchen der Frau Richter, noch zwei Treppen höher, und sie klopfte bei Christian Roth an. Eine

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Aurel von Jüchen: Frauenleben im Weltkriege. Xenien-Verlag, Leipzig 1915, Seite 54. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:J%C3%BCchenFrauenlebenImWeltkriege.pdf/56&oldid=- (Version vom 1.8.2018)