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Sonne zitterten über ihr blondes Haar, aber sie machte keine Bewegung, um das Geld zu nehmen. Jetzt reckte sie sich hoch und warf den blonden Kopf in den Nacken: „Ich nehme kein Geld von Ihnen“, sprach sie trotzig, „wenn mein Mann hier wäre, würde er schon für den Ofen sorgen.“ „Aber er ist doch nicht hier“, rief Frau Wilhelmi, im höchsten Grade aufgebracht. „Dann nehme ich trotzdem kein Almosen, dazu sind wir viel zu stolz.“ – In Frau Wilhelmi kochte das Blut, sie hätte leicht eine scharfe Erwiderung darauf geben können, aber nein, sie durfte sich doch nicht in Streit einlassen mit der Frau eines Kohlenarbeiters. „Dann ist Ihnen nicht zu helfen. Guten Tagl“ sagte sie mit harter Stimme und verließ mit stolzer Würde das Zimmer.

Noch ganz empört, klopfte Frau Wilhelmi bei der Zeitungsfrau an, denn sie fühlte, sie könne sich nur durch eine Erzählung dieses widerwärtigen Erlebnisses das Herz erleichtern. „Ja, ja, Frau Direktor“, sagte diese, „die rote Hanne ist ein grüner Apfel, ein leichtsinniges, stolzes Weib. Überhaupt, wer einmal mit den Sozialen geht, den hat der Teufel schon beim Haken. Es ist eigentlich schade für solchen fleißigen Mann, wie den Christian; aber jede freie Minute hockt er über seinen Schriften, und dann schwelgen die beiden in der Hoffnung auf den großen Kladderadatsch, auf die Zeit, wo die Arbeiter die Herren sein werden, und nur die Arbeit ein Recht auf Essen gibt.“ „Wie kann denn solch ein Roter ein guter Soldat sein?“ forschte Frau Wilhelmi. „Oh, das geht diesmal besonders gut, die Leute hassen doch hauptsächlich nur den Kapitalismus, und gerade dieser Krieg ist doch vom englischen Kapitalismus gemacht.“ „Sie sind ja eine politisch beschlagene Frau“, sagte Frau Wilhelmi bewundernd, und ihr Blick wandte sich zufällig nach einem schweren Pack Zeitungen auf dem Tisch. „Sie studieren wohl fleißig die Zeitungen, die Sie austragen?“ „Ja gewiß, ich lese sehr gern, es ist fast mein einziges Vergnügen, ich habe nur zu wenig Zeit. Auch heute müßte ich längst unterwegs sein, es ist Zufall, daß Sie mich angetroffen

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Aurel von Jüchen: Frauenleben im Weltkriege. Xenien-Verlag, Leipzig 1915, Seite 56. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:J%C3%BCchenFrauenlebenImWeltkriege.pdf/58&oldid=- (Version vom 1.8.2018)