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sich dahin geäußert, daß, wenn auch der rote Christian einmal auf demselben Kahn mit Viktor Wilhelmi gefahren sei und bei einem sogenannten Vorpostengefecht bei Helgoland den Tod erlitten habe, dies doch keinesfalls entschuldigen könne, daß die Frau Direktor mit der roten Hanne gewissermaßen verkehre; eine befreundete Dame hatte ihr Entsetzen darüber geäußert, daß die Frau Direktor kürzlich eine alte, etwas gelähmte Arbeiterfrau in ihrem Wagen mit in die Stadt gefahren und nachher wieder abgeholt habe. –

Der Direktor lachte von Herzen, als seine Gattin ihm dies erzählte. „Ja, mein Kind“, sagte er, „die wohlhabenden Kreise wollen eben keine Berührung mit den Arbeitern. Das ist einmal so, seitdem die Großindustrie sich entwickelt, und die große, dichte graue Masse der Arbeiterschaft sich gebildet hat. Großenteils sind auch die Arbeiter selbst schuld daran, weil ihr Benehmen nicht danach angetan war, daß andere Leute mit ihnen verkehren konnten.“

„Sie bilden eine große, dichte Masse“, erwiderte einmal seine Frau, „eine Masse, wie das Meer. Weißt du noch, wie wir einmal auf der Insel Föhr der Brandung zuschauten, und sie uns erschien, als ob die Meerfrauen ihre zerfließenden Schleier gegen den Himmel würfen. Da auf einmal klatschte uns etwas vor die Füße: ein toter Delphin. Das Tier machte einen scheußlichen Eindruck, und es war recht ungezogen vom Meer, uns so aus unserer schönen Schwärmerei aufzuschrecken. Aber haben wir wegen solcher Ungezogenheit das ganze Meer verdammt, oder ist es deshalb weniger wahr, daß die unergründliche Masse auch Muscheln und Perlen in sich trägt und uns diese ebensowohl zu Füßen werfen konnte? Siehst du, ebensowenig kann man die Arbeitermasse mißachten oder als feindlich ansehen oder leugnen, daß auch sie in ihrem unergründlichen Schoße viele, viele Perlen birgt, ebensogut wie Quallen und Delphine. Es ist ewig schade, wenn eine solche Perle sich selbst zerstört, weil niemand sich die Mühe geben will, sie als Perle zu erkennen. Denk' nur an Christian Roth!“

„Ich verstehe dich ganz gut, mein Lieb“, sagte der

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Aurel von Jüchen: Frauenleben im Weltkriege. Xenien-Verlag, Leipzig 1915, Seite 65. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:J%C3%BCchenFrauenlebenImWeltkriege.pdf/67&oldid=- (Version vom 1.8.2018)