„Du sollst den Ball wieder bekommen, wenn du die Kerkerthür aufschließest, daß ich entfliehen kann.“
„Das thäte ich wohl, aber es geht nicht,“ erwiderte der kleine Prinz, „meine Mutter trägt den Schlüssel zu deinem Gefängnis in ihrer Tasche und läßt ihn nicht von sich.“
„Geh zu ihr,“ sprach der wilde Mann, „und sag ihr, dich jucke es am Kopfe; dann wird sie deine Haare auseinander teilen und sehen, was dir fehlt. Du aber hast Zeit genug, ihr den Schlüssel aus der Tasche zu stehlen.“
Der Knabe that, wie ihm der wilde Mann geheißen hatte, und es geschah auch alles so. Die Königin fand nichts auf dem Kopfe und sprach:
„Du bist ein närrisches Kind, es juckt dich und dich kratzt doch nichts. Geh wieder auf den Hof und spiel weiter!“
Da sprang der Prinz von ihr und hatte den Schlüssel in der Hand; damit schloß er das Gefängnis auf, und der wilde Mann gab ihm seinen Ball zurück und wollte sich schon auf den Weg machen in den grünen Wald, als der Knabe ihn beim Arme ergriff und sagte:
„Noch nicht, lieber wilder Mann! Erst mußt du mir raten, wie ich den Schlüssel wieder in meiner Mutter Tasche bekomme.“
„Du schließest die Thür zu,“ antwortete der wilde Mann, „und dann läufst du mit dem Schlüssel zur Königin zurück und sagst: Mutter, mich juckt’s noch immer! Dann wird sie dir noch einmal den Kopf krauen, und du läßt dabei den Schlüssel wieder in die Tasche gleiten.“
Ulrich Jahn: Schwänke und Schnurren aus Bauern Mund. Mayer & Müller, Berlin 1890, Seite 88. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahn_Schwaenke_und_Schnurren_aus_Bauernmund.djvu/88&oldid=- (Version vom 1.8.2018)